Hat Max Weber Recht?

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In den Säkularisierungsthesen Max Webers steckt ein verzerrtes Bild vom Judentum.

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In den Säkularisierungsthesen Max Webers steckt ein verzerrtes Bild vom Judentum.

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Der 100. Todestag des berühmten ­Soziologen Max Weber in diesem Sommer gibt Anlass, über eine seiner wichtigsten Thesen nachzudenken. Unter dem Schlagwort der „Entzauberung der Welt“ wird die Moderne mit einer umfassenden Säkularisierung verbunden: der Überzeugung, dass in der Welt keine geheimnisvollen Kräfte am Werk sind und sie daher verstehbar und beherrschbar ist.

Gleichsetzung von Moderne und Säkularität ist heute selbst entzaubert. Wer sich in den USA umsieht und mit dem Judentum befasst, versteht diese Zweifel gleich aus zwei Perspektiven. Wenn man die USA als ein modernes politisches und soziales Gebilde versteht, sprengt die hier tief verwurzelte Religiosität die Gleichsetzung von Moderne und Säkularität und legt ­ihren ­Eurozentrismus offen. Wer sich mit dem Judentum nach dessen eigenen Maßstäben beschäftigt, findet eine durch göttliche Offenbarung und geschichtliche Entwicklung geformte Kultur, die zwar religiös geprägt ist, aber mit dem christlich gefärbten Begriff „Religion“ kaum zu fassen ist. Damit entpuppt sich Webers These als christlich zentriert.

Natürlich haben die Umwälzungen der Moderne auch das Judentum verändert. Aber die von Weber ausgehende Annahme, die Modernisierung des Judentums bedeute ein Weniger an Religion und damit auch ein Weniger an jüdischer Identität, greift zu kurz, weil sie jüdische Identität auf Religion reduziert. Bei Weber steckt in der Säkularisierungsthese ein verzerrtes Bild vom Judentum. Und wie Weber fällt es säkularen westeuropäischen Gesellschaften schwer zu verstehen, wie sich im liberalen Universalismus und Individualismus der Moderne eine Gruppe hartnäckig als eigen und anders begreift – und dennoch modern ist. Diese „jüdische Frage“ bleibt hundert Jahre nach Webers Tod offen.

Der Autor forscht zurzeit zu Jewish Studies an der Vanderbilt University, Nashville/USA.

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