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Gut bezahlter Protest?

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„Sie begeben sich auf die Ebene eines kleinen Parteifunktionärs und wollen doch mit dem hohen Grad eines Dichters ernst genommen werden … Da hört der Dichter auf, da fängt der ganz kleine Pinseiher an“, attackierte BRD-Altbundeskanzler Erhard den Schriftsteller-Dramatiker Rolf Hochhuth wegen seiner wirtschafts- und sozialpolitischen Atikel. „… ein Plädoyer für den IG- Metall-Chef Otto Brenner, der für die radikale Umverteilung von Einkommen und Vermögen eintritt“, empörte sich Franz Josef Strauß über den Hochhuth-Aufsatz zum Thema Vermögensumschichtung. Und die demnächst zu erwartenden kritischen Reaktionen und Reflexionen auf Hochhuths Studien unter dem Sammeltitel „Krieg und Klassenkrieg“ als rororo-Taschenbuch erschienen, sind vorerst gar nicht abzusehen.

Eines ist dem nun 40jährigen, in Basel lebenden Hochhuth jedenfalls gelungen: Mit seinem „Stellvertreter“ (1963), mit „Der Klassenkampf ist nicht zu Ende“ (1965), mit „Soldaten“ (1968), „Guerillas“ (1970) hat er, der politische Außenseiter, viel Staub aufgewirbelt: Der Bundestag in Bonn debattierte seine Thesen; seine Forderungen, Arbeiter und Angestellte an den Produktionsmitteln zu beteiligen, sind in die Bonner Gesetzesvorlagen aufgenommen worden. Triumph seiner politischen Bilanz: Papst Paul VI. nahm an den „Stellvertreter“-Diskussionen teil.

Der rororo-Band liefert zu diesen Ereignissen Hochhuths Dokumente, Quellenangaben, kritische Anmerkungen: etwa seine Frankfurter Rede gegen die Notstandsgesetze (1968), eine Studie über seine Dramen, Antworten an prominente Kritiker, die Hochhuth wegen „historischer Verzeichnungen“ in seinen Dramen attackierten, schließlich den „Brief an einen Kommunisten in der CSSR“…

Schlüssel für Hochhuths Politikerverständnis und zugleich Antwort auf seinen Streit mit Adorno um Georg Lukäcs’ deterministisches Bild von der Rolle des Individuums in der Gesellschaft, also um das Individuum als Subjekt oder Objekt, ist wohl der Hochhuth-Satz: „Die Philosophen haben Marx bisher nur verschieden interpretiert, es kommt aber darauf an, ihn zu verändern.“

Wie tut dies der eifernde politische Moralist Hochhuth?

Er setzt „Taten“ — schreibt Bücher…! Weist er, der strenge Kritiker klassischen Intellektualitäts- bewußtseins, sich nicht damit als eigentlich „klassischer Intellektueller“ aus, wie Sartre ihn im „Idiot international“ charakterisierte, als den recht gut verdienenden Politagitator, den Protestierer, den Bildung produzierenden und reproduzierenden Individualisten, der jederzeit Vietnamerklärungen unterschreibt, aber seine Vorlesungen hält wie eh und je?

Ein Teufelskreis des Selbstbelü- gens, der sein Bewußtsein eines Widerspruchs zwar einsichtig macht, der aber nichts anderes ist als der Widerspruch der ganzen Gesellschaft. Hochhuth fordert, polemisiert, aber er stellt sich — wie er es-eigent- lich müßte — in seiner Intellektuellenexistenz nur selbst nicht in Frage. Der Kreis wird offenbar: Wie Lenin vermerkte, schafft die spontane „Imagination au pouvoir“, planlose Geste einer politique pure, keine Macht ab. Das sollte auch Hochhuth einsehen.

KRIEG VND KLASSENKRIEG. Studien. Von Rolf Hochhuth. rororo- Taschenbuchverlag, Hamburg.

254 Seiten.

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