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In rotbraunen Abgründen

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Die Reaktionen auf die antisemitischen Schmierereien im Eisenstädter Jüdischen Friedhof konnten über den skandalösen Anlaß hinaus immerhin die richtigen Proportionen erkennen lassen. Dabei erinnerte ich mich an eine bestimmte hochinteressante Stelle im Lebensbericht des früheren geheimen KGB-Residenten in London, Oleg Gordiewsky, der auf Seite 601 seines tausendseitigen Wälzers folgendes bekanntgibt:

Im Jahr 1959 sollte die Bundesrepublik Deutschland, deren enormer wirtschaftlicher Aufstieg Moskau zutiefst mißfiel, als ein von Neonazis durchsetztes Land diffamiert werden: „Ostdeutsche Agenten wurden mit dem Auftrag in den Westen geschickt, jüdische Denkmäler, Synagogen und Geschäfte zu verunstalten und mit antisemitischen Parolen zu beschmieren. Einheimische Rowdies und Neonazis setzten die KGB-Aktion spontan fort. Zwischen Heiligem Abend 1959 und Februar 1960 verzeichneten die bundesdeutschen Behörden achthundertdreiundreißig antisemitische Straftaten. Die Aktion hörte ganz plötzlich auf, aber erst, als der internationale Ruf der Bundesrepublik schon beträchtlichen Schaden erlitten hatte."

Der damalige Leiter der Abteilung „Desinformation" des KGB in Moskau, Iwan Agajanz, hatte diese Aktion vorher in einem hundert Kilometer von Moskau entfernten Dorf ganz professionell testen lassen: Er schickte eine Gruppe von Offizieren dorthin, die Hakenkreuze und antisemitische Parolen an die Wände schmierten und im Schutz der Dunkelheit Grabsteine umstürzten. „Die KGB-Informanten im Dorf berichteten", so Gordiewsky, „der Zwischenfall habe zwar die meisten Bewohner erschreckt, doch eine kleine antisemitische Minderheit habe sich ermutigt gefühlt, die KGB-Provokationen nachzuahmen und selbst antisemitische Ausschreitungen zu begehen."

Nach diesem so erfolgreichen Versuch setzte Iwan Agajanz diese Technik in der Bundesre-pubik Deutschland ein. Mir kamen Gordiewskys Sätze sofort ins Gedächtnis, als ich von der Eisenstädter Grabschändung las. Wer aber könnte Interesse haben, Österreich in der Welt - vielleicht vor allem in den USA und, mehr noch, in Brüssel - als besondere Brutstätte des Antisemitismus, und zwar eines sehr militanten und aggressiven (wie man aus den Delikten ersehen kann), darzustellen?

Es wird sich noch sehr deutlich erweisen, daß die Reste des Stasi und des KGB an einer Destabili-sierung der westlichen Demokratien brennend und ganz im alten Stil interessiert sind. Sie schöpfen Hoffnung bei allen Krisen im Westen - und besonders aus jenen im Osten. Der serbische Krieg gibt ihnen Auftrieb. Vielleicht winkt gar eine Wiederkehr der alten kommunistischen Kader? Die Lektüre von Christopher Andrew/O leg Gordiewsky „KGB" (Bertelsmann) wird den Beobachter der Zeit möglicherweise auch in der Zukunft noch auf manche Gedanken bringen.

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