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KGB wie Krimsekt und Kaviar

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„Pjotr Grigorjewitsch, haben Sie Ihre Überzeugung geändert?“ „Überzeugungen sind keine Handschuhe; man kann sie nicht einfach wechseln!“ „Die Behandlung wird fortgesetzt.“ Gespräch zwischen dem dissidenten General Grigorenko und einem KGB-„Psychiater“ in der Irrenanstalt Tschernjachowsk.

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„Pjotr Grigorjewitsch, haben Sie Ihre Überzeugung geändert?“ „Überzeugungen sind keine Handschuhe; man kann sie nicht einfach wechseln!“ „Die Behandlung wird fortgesetzt.“ Gespräch zwischen dem dissidenten General Grigorenko und einem KGB-„Psychiater“ in der Irrenanstalt Tschernjachowsk.

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Der sowjetische KGB wird oft mit der amerikanischen CIA verglichen. Die Versuchung, dies zu tun, ist groß — nicht nur, daß sich die Aufgabengebiete der beiden geheimen Riesen oftmals überschneiden, sie« stehen sich bei ihren Kämpfen im dunkeln auch als Feinde gegenüber. Oft, wenn man im KGB oder in der CIA vom „Feind“ spricht, meint man keineswegs das andere Land, sondern nur dessen Geheimdienst.

Jedem Vergleich zwischen KGB und CIA sind dort Grenzen gesetzt, wo die Tätigkeit des KGB im Inland beginnt. Neben der Central Intelligence Agency oder CIA der USA ist der Komitét Gosudarstwen- noy Besopasnosty oder Staatssicherheitsdienst der Sowjetunion ein Riese. Vor allem im Inland, vor allem aber im Ausland.

Denn die CIA ist von der amerikanischen Innenpolitik her alles andere als unangefochten. Ihre Geschichte ist nicht zuletzt eine Geschichte ihrer Kollisionen mit dem Willen der Politiker, und sie wurde immer wieder zurückgepfiffen, immer wieder desavouiert, ganz zu schweigen von den Grenzen, die der CIA durch Kongreß und Senat auf der einen Seite, durch eine freie Presse auf der anderen Seite gesetzt werden. Wer die CIA so ohne weiteres von der Schuld oder Mitschuld am Schicksal Allendes freispricht, ist grenzenlos naiv, auch wenn die CIA nicht gerade an seiner Ermordung direkt beteiligt gewesen sein mag.

Verglichen mit der CIA ist der KGB allmächtig. Auch außenpolitisch, denn er hat keine wie immer geartete Kritik von der Innenpolitik her, oder gar von der sowjetischen Öffentlichkeit, zu fürchten. Vor allem aber ist er ein vielarmiger Polyp. Ein alles umfassender Geheimdienst mit einem weitverzweigten Aufgabenbereich. Wer die CIA in Zusammenhang mit dem KGB bringt, vergißt einige wesentliche Punkte: Die CIA ist ein alles andere als sympathisches Werkzeug zur Erreichung bestimmter außenpolitischer Ziele. Der KGB ist das wichtigste Instrument zur Aufrechterhaltung der Sowjetdiktatur schlechthin.

Im Spionagedienst besteht eine Aufgabenteilung zwischen dem KGB und der militärischen Spionageorganisation GRU (Glawnoje Raswe- diwatelnoje Uprawlenije oder Nachrichten dienstliche Hauptverwaltung). Aber zum Aufgabenbereich des KGB, dessen Vongängerorganisa- tionen Tscheka, GPU und NKWD hießen, der aber auch tief in den Traditionen der zaristischen Ochrana wurzelt, gehört vor allem die Aufrechterhaltung der Ordnung im Inneren der Sowjetunion, die Verfol-

gung der Dissidenten, die Überwachung jedes einzelnen Sowjetbürgers, aber auch die Grenzsicherung, gegenwärtig vor allem im Osten (gegenüber China). Selbst eine Addition der amerikanischen CIA und der Hitlerdeutschen Gestapo würde den Dimensionen des KGB noch nicht völlig gerecht.

Denn die Gestapo hatte sich immerhin gegen die Rivalitäten anderer Organisationen (wie Polizei, SD, SS und so weiter) zu behaupten. Die CIA anderseits ist zwar an den amerikanischen Botschaften präsent und stellt (was die westlichen Kritiker des KGB wiederum nur zu gerne übersehen) oft einen bedeutenden

Teil des „diplomatischen“ Personals, aber sie existiert’doch stets „neben“ der Diplomatie, während der KGB eine sehr viel zentralere und in mancher Hinsicht übergeordnete Stellung an den sowjetischen Botschaften einnimmt (sehr viele sowjetische Botschafter waren KGB-Offiziere, und dies nicht im Nebenberuf, sondern eher Botschafter neben ihrer KGB-Tätigkeit). Die KGB-Residenten in den verschiedenen Ländern und die leitenden KGB-Offiziere an den Botschaften haben nicht zuletzt die Funktion, das eigene Botschaftspersonal zu überwachen — bis hinauf zu den Botschaftern, die den KGB, wo sie ihm nicht angehören, fürchten (und manchmal auch hassen).

Die Unterschätzung des KGB hat keineswegs nur ideologische Gründe. Diese sogar eher erst in zweiter Linie. Auch hier gilt eben das bekannte Gesetz, daß es schwer ist, eine wirkungsvolle, fundierte Kritik gegen eine Institution zu formulieren, über die man kaum etwas weiß. Die schmutzigen Geschäfte der CIA wurden oft genug aktenkundig —

nicht nur in Form eher unüberlegter Presseandeutungen, sondern durchaus auch im Zuge der Untersuchungen von Sensationsausschüssen usw. (siehe die jüngsten Chile-Enthüllungen). Die Geschäfte der KGB, die um vieles schmutziger sind, tauchen selbstverständlich niemals in der sowjetischen Presse auf, werden von der . befreundeten“ Presse systematisch als Verleumdungen bezeichnet, ganz zu schweigen von der Unmöglichkeit, in die Interna der sowjetischen Führung Einblick zu bekommen. („Kreml-Astrologie“ ist etwas für Leute, die daran glauben. Bei Kissinger findet sich der Hinweis auf die Unmöglichkeit, irgendwelche Informationen über Kreml-Vorgänge zu erhalten, die sich in irgendeiner Weise für das weltpolitische Kalkül gebrauchen lassen.) Aus diesen Gründen läßt sich jede gegen den KGB gerichtete Information leicht als „kapitalistische Lüge“ hinstellen.

Auch das kürzlich im Verlag Scherz (Paperback, 518 Seiten, Originalausgabe 1974 bei Reader’s Digest Association) erschienene

Buch „KGB“ von John Barron scheidet ob des Mißverhältnisses zwischen journalistischer Selbstbeweihräucherung im Vorwort und dem Mangel an Verifizierungsmöglichkeiten, betreffend den Rest, als seriöse Informationsquelle leider so ziemlich aus. Aber es bietet eine Fülle von Anregungen für weitere Überlegungen. So zum Beispiel mag man die Einzelheiten der Story des Überläufers Wladimir Nikolajewitsch Sacharow (mit dem Physiker Sacharow weder verwandt noch identisch) glauben oder auch nicht, denn überprüfen kann man sie ohnehin nicht. Aber eines wird doch sehr deutlich: Menschen wie diesen KGB-Überläufer kann es nicht nur geben, sondern es muß sie geben und sie bedeuten eine entscheidende Schwäche für den KGB. Gemeinsam mit den für KGB- Werbungsversuche anfälligen geheimen Sowjet-Sympathisanten unter den amerikanischen Geheimnisträgern bilden sie den Ansatzpunkt für die gegenseitige Unterwanderung und Durchdringung der Geheimdienste, die sicherlich manchmal in der gemeinsamen Tendenz gipfelt, Erfolgsbeweise für die jeweiligen Chefs (und das Vertuschen von Mißerfolgen) über echte Effizienz zu stellen.

Die Laufbahn des KGB-Überläu- fers Wladimir Nokolajewitsch Sacharow bietet sozusagen eine Hohlform zum Lebensweg westlicher Kommunisten, die selbiges einst, als der Glanz des Marxismus noch nicht verblaßt war, aus einem sozialen schlechten Gewissen wurden. Ein großer Teil der bedeutendsten (und der integersten und inspiriertesten unter den weniger bedeutenden) Marxisten stammte bekanntlich aus gutbürgerlichem bis reichem Haus und wurde durch das Elend der weniger Glücklichen nach links getrieben. Wladimir Nikolajewitsch entstammt der Neuen Klasse, aus der der KGB seine Mitarbeiter vorzugsweise rekrutiert, hat einen Vater, der für seinen Sohn alles tun kann und alles tut. einen Vater, der selbst für den KGB gearbeitet hat — und den Sohn davor bewahren will. Wladimir Nikolajewitsch führt das Leben eines jungen Privilegierten, der alles hat, was der Rest der Sowjetgesellschaft entbehrt, Anzüge aus dem Westen, Whisky aus dem Westen, und der während eines Ernteeinsatzes plötzlich mit der totalen Rechtlosigkeit der Kolchosbauern konfrontiert wird. Solche Menschen gibt es in jeder Gesellschaft mit einem krassen Oben und Unten, und in der Sowjetunion ist der Graben zwischen Oben und Unten heute nur um weniges weniger tief als zu Zarens Zeiten. Daher muß es diesen Menschentyp des Rebellen aus schlechtem Gewissen, des weißen Raben, auch hier geben — auch in der Sowjetunion und erst recht im KGB. Wladimir Nikolajewitsch wird aus freien Stücken und aus innerer Berufung CIA-Agent im KGB. Er will es sein Leben lang bleiben, muß aber — als ihm die CIA durch einen Blumenstrauß im Fenster eines geparkten Autos „Gefahr im Vorzug“ signalisiert — abspringen.

Eines macht John Barrow überdeutlich und glaubwürdig: Die totale Desillusionierung der sowjetischen Oberschicht, ihre absolute ideologische Indifferenz, die vielleicht mit einem Rest echten politischen Engagements in den Schichten der Nicht- privilegierten kontrastieren mag: Oben aber ist nur noch innere Leere, nackter Egoismus. Was sollte, nach Stalin und unter Breschnew, auch sonst noch sein? Glaube an den Kommunismus? Der ist allenfalls ein Exportartikel, der zu Krimsekt und Kaviar gratis draufgegeben wird. Es hat schon seine Gründe, wenn heute religiöse Tendenzen in einem ungeahnten Ausmaß um sich greifen — eine Religiosität, die hoffentlich auch das korrumpierte, gleichgeschaltete kirchliche Establishment der Sowjetunion in Verlegenheit bringt.

Der KGB als Auslandsspionagedienst ist seinem Gegenspieler CIA heute nicht zuletzt in der Ineffizienz vieler Aktionen, in der Fehlbewertung vieler Entwicklungen und in seinen grotesken Pleiten ebenbürtig. John Barroi»‘ wertet sein KGB-Buch völlig unnötigerweise durch einen Antikommunimus von der sturen Sorte ab, der zwar, als Beispiel für die KGB-Ineffizienz, die Tatsache anführt, daß es in der Sowjetunion an der professionellen Auswertung und Bewertung der Geheimnachrichten hapert (siehe Stalins Ignorieren aller Meldungen über den bevorstehenden Angriff Hitlers), der aber daran vorbeigeht, daß die amerikanischen Geheimdienstler trotz ihrer Auswertungsprofis nicht weniger groteske Fehlleistungen und Falschbewertungen geliefert haben. Und daß oft auch die außenpolitischen Ziele einander durchaus würdig sind.

Im Inneren der Sowjetunion ist der KGB heute, durchaus logischerweise, vor allem mit dem Niederhalten aufmüpfiger Nationalitäten, mit dem Niederhalten der intellektuellen Dissidenten und mit der Aufrechterhaltung eines kritiklos konformistischen Klimas beschäftigt. Nicht nur der Glaube an die marxistische Parusie, an das Himmelreich nach der Weltrevolution, sondern auch jede Entspannung ist heute ein sowjetischer Exportartikel wie Kaviar und Krimsekt. Im Inneren herrscht krassester Vormärz, Zensur und Polizei, schlag nach bei Heinrich Heine, und der Inlandspaß, der dem jungen Sowjetbürger in einem Pseudo-Adoleszenz-Ritus feierlich überreicht wird, beschränkt in Wirk lichkeit seine Bewegungsfreiheit. Auf dem Weg zur Befreiung von aller Entfremdung ist er nun doch bis zu den (nicht nur) österreichischen Zuständen vor 1848 vorgedrun- gen. Er darf reisen, wenn es die Polizei erlaubt, und sich aufhalten, wo es die Polizei erlaubt. Der KGB behält ihn im Auge.

In der Sowjetunion sind heute 70.000 hauptberufliche Zensoren beschäftigt. Aber daß diese Zensoren nicht von jener Art sind, die Nestroy und Grillparzer geärgert hat, geht aus einer Meldung der „Literatumaja Gaseta“ vom 7. Juni 1972 hervor, derzufolge die Schriftsteller nicht nur zensuriert, sondern auch’ verhalten werden, ihren Zensoren zu huldigen. Dort ist von einer Feier zum 50. Jahrestag der Errichtung der Zensur(!) im Oktobersaal (wo Stalins Schauprozesse stattfanden) die Rede. „Sowjeitskaja Rossija“ zufolge haben die Dichter ihre Zensoren mit großem Enthuiasmus gefeiert.

Wer, statt den Zensoren symbolisch die Füße zu küssen, gegen sie aufbegehrt, lernt, wenn er etwa Solschenizyn heißt, die weniger feinen KGB-Methoden kennen.

Solschenizyn schilderte mittlerweile, wie der KGB falsche provokante Solschenizyn-Manuskripte in übrigens hervorragend gefälschter Solschenizyn-Handschrift westlichen Verlegern in die Hände spielte, die Passagen enthielten, deren Abdruck unter dem Namen Solschenizyn diesen dem KGB ausgeliefert hätte. Denn der KGB schmuggelt nicht nur amerikanischen Diplomaten Geheimsender in die Schuhabsätze (was die CIA vielleicht auch tut oder ganz gern täte?), sondern er unterschiebt Gegnern des Regimes strafbare Handlungen.

Wobei ein sowjetischer Dissident etwa zweimal von ihn beschattenden KGB-Agenten verhaftet wurde, weil er angeblich auf der Straße ausgespuckt hatte. Was verboten ist.

Wäre es nicht so ernst, so könnte man darüber lachen: Wie jener Zensor, der einst ein Stück von Grillparzer zurückhielt und dem Dichter Jahre später als Motiv bekanntgab „Ich hab mir gedacht, man kann nie wissen“ — so streicht einem sowjetischen Autor der Gegenwart die Zensur angeblich den Erddurchmesser aus einem Artikel — mit der Begründung, diese Information sei im Moment nicht erwünscht. Solches heute ist leider zu ernst, um zu lachen, denn es ist nur die absurdeste Randerscheinung eines Systems, das längst in einem Ausmaß stabilisiert erscheint, daß kaum noch Hoffnung auf eine tiefergreifende Änderung in absehbarer Zeit besteht. Die Entspannung mit den USA bringt ihm im Äußeren, was es im Inneren längst hat: Ruhe. (Zumindest überall, außer im Nahen Osten.)

Der KGB ist Schild und Schwert dieses Systems. Er ist allgegenwärtig. KGB-Vorsitzender ist seit 1967 jener Jurij Wladimirowitsch Andropow, der 1956 als Botschafter in Budapest der neuen- ungarischen Regierung das berühmte „mongolische Dinner“ gab, währenddessen der — damalige — KGB-Vorsitzende Iwan Serow mit seinen Mitarbeitern in den Raum stürzte, um Pál Maleter zu verhaften. Derselbe Andropow, der Imre Nagy freies Geleit garantierte und dies als freies Geleit zur Hinrichtung verstand.

Er soll heute in einer geräumigen, westlich eingerichteten Wohnung mit allem westlichen Komfort leben. Und zwar im selben Wohnhaus wie Breschnew.

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