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Briefe von der Wolga

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Einfallsreichtum und Elastizität können der KGB-Taktik gegen die opponierende Intelligentsia nicht abgesprochen werden. Die russische Geheimpolizei ging immer schon mit der Zeit. Anfang der sechziger Jahre versuchte die KGB die Öffentlichkeit durch Verbreitung von Gerüchten irrezuführen. Als im Jahre 1965 ein Russe die Bibliothek der Ukrainischen Akademie der Wissenschaften in Brand steckte, wurde von der KGB das Gerücht ausgestreut, daß es sich um eine Missetat „ukrainischer bürgerlicher Nationalisten“ gehandelt habe. Als der russische und der ukrainische Samizdat illegal erschienen und von der gebildeten Bevölkerung mit größtem Interesse gelesen wurden, beschloß die Geheimpolizei, ihren eigenen, linientreuen Samizdat zu redigieren und zu verbreiten. So ist der KGB-Sa-

mizdat eine der großen Kuriositäten des Sowjetlebens geworden.

Später entdeckte man den anonymen Brief als Waffe zur Bekämpfung jeglicher Opposition. Anonyme Briefe sind in den letzten zwei Jahren zu einer beliebten Form des KGB-Samizdat geworden. Sie werden in unzähligen Exemplaren an führende Persönlichkeiten der Kultur und des politischen Lebens adressiert, um „dissidente Kulturträger“ zu diskreditieren. In einem anonymen Brief der KGB wurden einmal die beiden berühmten Kritiker Dschjuba und Switly-tschny bezichtigt, „aus niedrigen Beweggründen“ für den Autor W. Symonenko die Trommel gerührt zu haben, weil dieser „im Glorienschein seines Erfolgs baden“ wollte. Symonenko starb bereits im Jahre 1963. Er hat hauptsächlich sozialkritische Gedichte verfaßt, die später,

gemeinsam mit seinen Memoiren, im Westen veröffentlicht worden sind. Anläßlich seines fünften Todestages fing man auch in der Sowjetunion an, sich seiner zu erinnern. Die genannten Kritiker nahmen an einer Gedenkfeier in Kiew teil und würdigten dabei den Dichter in Ansprachen.

Mit der gleichen Methode ging man gegen eine Kandidatin der philosophischen Wissenschaften, Zinovija Franko, eine Enkelin des ukrainischen Dichters Iwan Franko, vor, weil auch sie gegen die Russifi-zierung der Ukraine protestiert hatte. Ihr Sündenregister war allerdings noch wesentlich größer, weil sie auch den Partei-Antisemitismus und die Verfolgung der Krimtataren verurteilt hatte. Sie wurde im hohen Bogen aus der Partei hinausgeworfen, und sie verlor gleichzeitig ihre Stellung im Institut für Sprachforschung an der ukrainischen Akademie.

Der Autor Antonenko-Dawido-witsch, der Stalins Konzentrationslager aus eigener Erfahrung kennt, fand eines Tages ein Schreiben mit der geschmackvollen Unterschrift: „Russische Freunde“ in seinem Briefkasten. Die KGB betrieb zu dieser Zeit gerade eine Diffamierungskampagne gegen W. Chorno-wil, den Verfasser der „Chornowil-Papiere“. Der Empfänger des besagten anonymen Briefes wurde „wohlwollend informiert“, daß Chornowil ein „gefährlicher Mann“ sei. Man möge sich im eigenen Interesse davor hüten, mit ihm Kontakt aufzunehmen, da Chornowil an der Verhaftung des bekannten Kämpfers für demokratische Freiheit, General P. Grigorenko, schuld sei. Notabene: der mutige Kybernetiker, General P. Grigorenko, befindet sich seit langen Jahren bereits in einer Irrenanstalt, der fünften seit seiner Verhaftung.

Aus der geistigen KGB-Küche in Kiew stammten auch Briefe, die namens politischer Häftlinge in der Mordwinischen Republik geschrieben und „von der Wolga“ datiert worden waren. Die „besorgten“ Lagerinsassen warnten darin ukrainische Intellektuelle davor, den Leitern der oppositionellen nationalen Bewegung Vertrauen zu schenken. Angehörige dieser Gruppe hätten ihre eigenen Landsleute, die Briefeschreiber nämlich, in eigennütziger Weise ausgeplündert. Die Zeitung „Ukrainskyj Wisnyk“ unterzog daraufhin diese anonymen Briefe einer Sprachanalyse und kam zu dem Resultat, daß sie von einem Russen auf einer ukrainischen Schreibmaschine getippt worden waren, da sie von typischen „Russizismen“ strotzten.

KGB-Fälscher sind im ganzen Sowjetreich am Werk. „Ukrainskyj Wisnyk“ konnte nachweisen, daß ein KGB-Samizdat über die Krimtataren an zahlreiche ausgesuchte Adressen gesandt worden war, und daß in der Folge die Empfänger der Broschüre schlagartig verhaftet wurden. Agenten der Geheimpolizei fanden, wie vorgesehen, bei ihnen das „Belastungsmaterial“ aus der KGB-Werkstatt, worauf sie ohne Schwierigkeit unter Anklage gestellt werden konnten.

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