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Ein guter Bekannter Moskaus

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Der Präsidentenmord vor 30. Jahren in Dallas ist bis heute nicht gänzlich geklärt. Eines ist klar: Lee Harvey Oswald war der Todesschütze - und auch dem KGB nicht unbekannt.

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Der Präsidentenmord vor 30. Jahren in Dallas ist bis heute nicht gänzlich geklärt. Eines ist klar: Lee Harvey Oswald war der Todesschütze - und auch dem KGB nicht unbekannt.

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Nicht nur die CIA hat über den Kennedy-Mörder Lee Harvey Oswald ein Dossier angelegt. Auch in Moskau war man auf diesen Mann aufmerksam geworden. Das damalige KGB - der Staatssicherheitsdienst der UdSSB - hatte Oswald schon deswegen beschattet, weil er noch vor seinem dramatischen Auftritt in Texas im November 1963 ein „guter Bekannter” sowjetischer Abwehr- beziehungsweise Spionagespezialisten gewesen war.

Gorbatschows letzter KGB-Chef Wadim Bakatin hatte den Mut, diese Angelegenheit 1991 in die Hände zu nehmen. In seinen Memoiren, die kürzlich in deutscher Sprache im Verlag Fischer erschienen sind, schreibt der heute pensionierte Beamte unter anderem auch über den „Fall Lee Harvey Oswald”. Bakatin hatte das Amt eines KGB-Chefs lediglich 107 Tage inne. Was er jetzt über Oswald berichtet, sind seine Dokumenten-Entdeckungen im Labyrinth des KGB-Archivs.

Zum Fall Oswald heißt es bei ihm: „Wie viele Jahre erregte es die Gemüter derer, die die Umstände des Todes des US-Präsidenten erforschten. Oswald hatte fast drei Jahre in der Sowjetunion gelebt, und es wurde für möglich gehalten, daß er vom Komitee für Staatssicherheit angeworben worden war.” Bakatin verneint jedoch diese Vermutung. Er beruft sich auf fünf Aktenbände, die ihm in diesem Fall vorgelegt worden waren. Bakatin blättert in den Oswald-Akten; und was er dort lesen konnte, faßte er wie folgt zusammen:

Versager, nicht Kgb-Agent

„Der zwanzigjährige Oswald war am 15. Oktober 1959 als Tourist nach Moskau gekommen und beantragte mit der Begründung, er sei ein Anhänger der marxistisch-leninistischen Ideologie, sofort die sowjetische Staatsbürgerschaft. Auf die Ablehnung reagierte er mit einem Selbstmordversuch. Er schnitt sich die Pulsadern auf. Nach seiner Entlassung aus dem Botkin-Kranken-haus erschien er in der Botschaft der USA in Moskau, um die amerikanische Staatsbürgerschaft abzulegen. Ein Schreiben des Außenministers Gromyko und des KGB-Vorsitzenden Scheiepin an das ZK der KPdSU war erforderlich, damit er eine zeitweilige Aufenthaltserlaubnis erhielt sowie Arbeit und Wohnung vermittelt bekam. Das ZK beauftragte den weißrussischen Volkswirtschaftsrat, Oswald als Elektrotechniker (da er nach seinen Worten bei der US-Armee mit Funktechnik zu tun gehabt hatte) im Minsker Funkwerk unterzubringen, und das Bote Kreuz, ihm 5.000 Rubel (500 nach der Umstellung des Rubels im Jahre 1960) für die Einrichtung einer Wohnung zur Verfügung zu stellen und eine monatliche Unterstützung von 700 (70) Rubel zu zahlen.” Dies sind Summen, die man einem Fremden in der damaligen UdSSR nicht ohne weiteres schenkte. Ein Sowjet-Ingenieur verdiente 1960 etwa 150 Rubel und Wohnungen gab es nicht einmal für bedürftige Russen.

Bakatin gibt aber dazu eine plausible Erklärung: „Das KGB ließ Oswald besondere Aufmerksamkeit zuteil werden, doch nicht, weil man ihn anwerben wollte, sondern weil er der Spionage für die USA verdächtigt wurde. Man nutzte praktisch das gesamte Arsenal geheimdienstlicher Mittel: hörte Oswalds Wohnung in Minsk ab, observierte ihn fast ständig, mehrere KGB-N Agenten arbeiteten mit ihm auf Nahdistanz, seine sämtliche Korrespondenz wurde kontrolliert. Auf diese Weise ist so gut wie jeder Schritt, den Oswald auf sowjetischem Boden tat, dokumentiert.”

Und weiter heißt es: „Nalin (Quappe) oder Lichoj (Verwegener), wie er in operativen Berichten heißt, mußte bei der Spionageabwehr tatsächlich Verdacht erregen. Im Widerspruch zu seinem angeblichen Motiv für die Beantragung der sowjetischen Staatsbürgerschaft zeigte er für den Marxismus nicht das geringste Interesse, er beteiligte sich weder an Politschulungen noch besuchte er Gewerkschaftsversammlungen. Seine politischen Ansichten, die er hin und wieder kundtat, harmonierten nicht so ganz mit der sowjetischen Dogmatik, deshalb bemühte sich das KGB, ihm die Vorzüge der sowjetischen Lebensweise' plausibel zu machen. Mit der Funktechnik sah es bei ihm, wie sich herausstellte, auch nicht gerade berühmt aus.” Also: ein Versager!

Bakatin recherchierte weiter und stellte anhand der Spitzelberichte fest, daß sich Oswald „mit seiner Faulheit” im Betrieb „Tadel” eingehandelt hat. In Minsk lernte Oswald eine Apothekerin kennen. Sie heirateten bald. „Entgegen dem in den USA wiederholt geäußerten Verdacht war sie keine KGB-Agentin”, konstatiert Bakatin.

Nach und nach wurde Oswald das Leben in der UdSSB langweilig, eintönig. Ab Jänner 1961 betrieb er daher seine Ausreise. Er wollte zurück in die USA. Mit seiner Mutter und seinem Bruder in Texas stand er wieder regelmäßig in brieflichem Kontakt, der (selbstredend) vom KGB eingesehen wurde. 1962 wurde ihm dann mit seiner Frau und der inzwischen geborenen Tochter die Ausreise in die USA gestattet.

Was mit den Oswalds dann dort passierte, darüber hat sicherlich die CIA ein dickes Dossier. Man reiste damals, Anfang der sechziger Jahre, nicht ohne weiteres von einer Welt in die andere. Moskau wußte, daß Oswald im Sommer 1963 in Mexiko die sowjetische Botschaft aufsuchte und dort eröffnete: er und seine Familie möchten nicht weiter in den USA bleiben. Er bat die Sowjetbehörden um ein Einreisevisum in die Sowjetunion. Bakatin: „Sein Ersuchen wurde abgelehnt.”

Reaktionäres Komplott?

Die Begründung hegt auf der Hand. Die damalige UdSSR war kein Einwanderungsland. Infolge der strikten Verordnung, die Sowjetbürger von jedem fremden Einfluß fernzuhalten, hatte Moskau verboten, Ersuchen ausländischer Einwanderer stattzugeben. Nicht einmal für Kommunisten aus westlichen Ländern gab es solche Privilegien, wenn sie nicht gerade zur Prominenz gehörten.

Und von Oswald hatten die Moskauer Zentralbehörden die Nase voll. Der Rest ist bekannt. Lee Harvey Oswald ging in die Geschichte als der Kennedy-Mörder ein. Wer ihn dazu angeleitet hat, was seine Motive waren und ob er die Tat allein ausführte, diese Fragen stehen noch unbeantwortet im Raum. Für mich sind sie durch den Warren-Bericht keinesfalls aufgeklärt.

Wadim Bakatins Analyse zum Kennedy-Mord ist aufschlußreich. Anhand von damaligen Analysen des KGB seien die Sicherheitsorgane zu dem Schluß gekommen, das Attentat sei „von reaktionären monopolistischen Kreisen im Komplott mit profaschistischen Gruppen der Vereinigten Staaten organisiert worden mit dem Ziel der Verstärkung der reaktionärsten und aggressivsten Aspekte der US-Politik.” Oswald habe man nur als Tatsubjekt benützt.

Diese Analyse entspricht keinesfalls der Wahrheit, sie paßt aber in das Weltbild der damaligen Kreml-Führung über das kapitalistische Staatensystem. Hinter den Kulissen hatte damals schon der Machtkampf zwischen der Chruschtschow-Gruppe und dem erzkonservativen KPdSU-Flügel begonnen. Im Oktober 1964 wurde Chruschtschow durch die Breschnew-Gruppe putschartig abgesetzt, die Politik der „friedlichen Koexistenz” nahm neue Dimensionen an - zu Ungunsten der Verständigung.

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