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Keine Heiligen

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Vor 25 Jahren haben die nach dem Zweiten Weltkrieg in Fortsetzung alter Tradition neuerstandenen Tiro ler Schützenkompanien zu einem Dachverband zusammengefunden. Der Erinnerung an dieses Ereignis ist heuer eine Reihe von Veranstaltungen gewidmet

Im Bund der Tiroler Schützenkompanien sind heute 213 Kompanien mit insgesamt 9023 aktiven, 1111 Jungschützen und 4802 unterstützenden Mitgliedern vereinigt. Rund 15.000 Tiroler bekennen sich also zu einer Gemeinschaft, die von Kritikern gerne als unzeitgemäß hingestellt wird. Gewiß, wenn diese Schützen bekennen: „Wir pflegen die Treue zu Gott und dem Erbe der Väter, die geistige und kulturelle Einheit des Landes und die Freiheit und Würde des Menschen“ — klingt das wirklich nicht wie ein gängiger Slogan der Konsumgesellschaft. Aber diese Schützen in Tirol sind eben eine Realität und durchaus keine sterbende. In ihren Reihen sind alle Berufs- und Altersgruppen zu finden: 26 Prozent von ihnen sind Bauern, 38 Prozent Arbeiter, 12 Prozent Angestellte, 11 Prozent öffentliche Bedienstete, 8 Prozent Selbständige und 5 Prozent Schüler und Studenten. Ein Drittel der Mitglieder ist jünger als 30 Jahre und mehr als die Hälfte jünger als 40 Jahre. „Wir haben keine Nachwuchssorgen und wir haben es auch nicht nötig, Mitglieder zu werben. Sie kommen von selbst.“ Das sagte Landeskommandant Hofrat Dr. Walter Zefolsch. Und tatsächlich ist die Vjtalität des Tiroler Schützenwesens ein Phänomen. Ganz so ver'wunderlich ist die Attraktivität der Schützen aber auch wieder nicht Gerade in einer Umwelt, die die Isolierung des Einzelmenschen fördert, macht sich auch ein verstärkter Trend zur Gemeinschaft bemerkbar. Daraus läßt sich erklären, daß in zwei neuen Innsbrucker Wohnstadtteilen — im

Olympischen Dorf und in der Reichenau — Schützenkompanien gegründet wurden und sich regen Zulaufes erfreuen. Auch das psychologische Moment ist nicht zu unterschätzen: ein Mann in Tracht wird aus der Anonymität seiner Umgebung herausgehoben, er ist jemand, er gehört zu einem angesehenen Korps. Und das läßt er sich etwas kosten — an Zeit Geld und Opfern. Der Einsatz für die Gemeinschaft gehört zu den Haupttugenden der Schützen. Über zwei Drittel der Tiroler Schützen sind auch bei der Freiwilligen Feuerwehr, der Bergwacht, Bergrettung, beim Roten Kreuz oder bei ähnlichen Einrichtungen tätig. Außerdem seien die Schützenkompanien eine hervorragende Basis zur Volksbildung, wurde unlängst im Rahmen einer IFES-Untersuchung festgestellt. Bildungs-offizäer Hofrat Dr. Auer sieht ein Hauptanliegen in der Erziehung zur mitbürgerlichen Verantwortung: „Darüberhinaus ist es unser Bestreben, die Werte der Vergangenheit in die Gegenwart umzusetzen.“ Das heißt: nicht nur ausrücken und dem Schießsport huldigen, sondern auch aktiv werden auf den Gebieten des Umweltschutzes, der Katastrophenhilfe, Nächstenhilfe und, wenn es sein muß, im Kriseneinsatz.

Die Organisationsform des Tiroler Schützenwesens ist demokratisch, aber es handelt sich um Demokratie ohne Parteipolitik. Sicher wird auch manche Kritik laut, aber im Grunde ist diese, trotz aller Bissigkeit meist wohlwollend. Siehe Paul Flora! Dazu Hof rat Zebisch: „Wir haben nichts gegen Kritik. Bisher hat uns allerdings noch niemand eine bessere Alternative genannt“ Und Landes-kurat Msgr. Albuin Jordan: „Wir Schützen sind keine Heiligen, aber Scheinheilige wollen wir auch nicht sein!“

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