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Leise, leise…

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Eines ist bei den verschiedenen Theatergesprächen und Tagungen der letzten Zeit nicht aufs Tapet gekommen: Daß alle Regisseure, tutti quanti, moderne und alte, Lindt- berg ausgenommen, dazu verhalten werden müßten, sich einmal auf den Olymp ihres Theaters zu begeben, um festzustellen, welche Passagen aus der Flüsterproduktion ihrer Darsteller bis dahin dringen. Ganz kraß war es bei Schaaf gewesen, der im Burgtheater Frau Jesserer, ohnehin keine Leuchte der sprachlichen Artikulation, so leise und dazu dem Zuschauerraum abgekehrt sprechen ließ, daß von ihrem Part in Schnitzlers „Der Ruf des Lebens“ nur ein Torso übrig blieb. Aber das war keine Ausnahme, nur „eine recht eine gute Illustration", wie man’s auf wienerisch äusdrückt, des allgemeinen Zustandes der Leisesprecherei auf den Bühnen, deren Herkunft sich sowohl aus der Technik wie aus der Weltanschauung erklären läßt.

Einmal sind die Akteure auf der Bühne gewöhnt, in den Medien aufzutreten, und dort wird durch den Lautverstärker jeder Ton hinreichend herausgebracht, ja, es ist sogar jeder laute Ton unerwünscht. Und in der Tat, man kann laut nicht gut nuancieren, alles zurückhaltend Gesprochene kommt besser heraus. In früheren Zeiten aber, als das berühmt-berüchtigte Burgtheaterdeutsch herrschte, mußten die Schauspieler ohne diese Hilfen aus- kommen und deshalb ganz anders artikulieren lernen, als es heute gelehrt wird. Da hörte man noch das Flüstern von Hamlets Vater im hintersten Winkel. Zweite Ursache: die Mißachtung der Sprache des Dichters durch den dominanten Regisseur. Darüber wäre eine Abhandlung zu schreiben. Wichtig ist die Aufmachung, nicht das Wort - welches womöglich noch verdreht und beschnitten wird. Effekt: Das Publikum bekommt eine halbgare Speise vorgesetzt, kann kaum mehr richtig über das Stück urteilen und geht vergrämt nach Hause. Was offenbar der Sinn des modernen Theaters ist.

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