6855419-1977_13_13.jpg
Digital In Arbeit

Nordirlands Wirklichkeit war ärger

Werbung
Werbung
Werbung

Demonstrationen und Überfälle mit Todesopfern gibt es in Nordirland fast täglich. In dem Stück „Die Freiheit der Stadt“ des nordirischen Endvierzigers Brien Friel, derzeit im Volkstheater im Rahmen des Sonderabonnements zu sehen, geht es um einen Protestmarsch und eine Bürgerrechtsversammlung in Londonderry, die beide verboten waren. Nichts von Religionsgegensätzen, das Stück richtet sich gegen die britische Herrschaft.

Drei der unbewaffneten Demonstranten, zwei junge Burschen und die Mutter von elf Kindern, flüchten vor dem Tränengas und den Gummikugeln der Truppen ins nächstgelegene Gebäude, das leere Rathaus, und zwar ins Empfangszimmer des Bürgermeisters. Die meisten Szenen, die einen Großteil des Stückes ausmachen, lassen uns die drei Menschen kennenlernen, zeigen ihr Verhalten an dem ihnen ungewohnten Ort, schließlich ziehen sie zum Spaß die Roben des Bürgermeisters, der Ratsherren an.

Diese sehr breit dargebotene allzugroße Sorglosigkeit rechtfertigt sich nur durch den Gegensatz zur faktischen Situation: Das Rathaus ist von Truppen umstellt, draußen mutmaßt man vierzig Bewaffnete im Innern, die drei hören die befristete Aufforderung, das Gebäude zu verlassen. Wir wissen das Ende voraus, die drei friedlichen Unbewaffneten lagen bereits als

Auftakt des Stücks erschossen an der Bühnenrampe.

Die vielen Szenen im Rathaus sind Rückblenden, eingefaßt und unterbrochen von Gegenwartsszenen mit einem britischen Richter, der den Fall untersucht, Zeugen vernimmt, und schließlich zum Ergebnis kommt, daß die drei bewaffnet waren und das Feuer eröffneten, was doch wohl völliger Wahnsinn gewesen wäre.

Friel scheint sich vom vielfachen Ineinanderschneiden verschiedener Szenen besondere Wirkung zu versprechen, denn da gibt es noch Auftritte mit einem Soziologen, der über die „Kultur der Armut“ doziert, mit einem Priester, einem Fernsehsprecher. Diese filmische Technik wirkt nur füllend, der Grundeinfall wird dadurch nicht ertragreicher. Von der lebendigen Zeichnung der ins Rathaus Geflüchteten abgesehen, bleibt der Stachel wider die Briten, die da Unschuldige ermorden und auch noch fälschlich mit Schuld belasten. Mag diese Story auch erfunden sein, so erklärte die „Times“ doch, sogar Ärgeres sei geschehen.

Das wenig ergiebige Stück hat Regisseur Jürgen Wilke in der szenischen Wirkung, soweit es überhaupt möglich ist, verstärkt, indem er fast ein Drittel des Textes strich, kurze Szenen geschickt veränderte, andere an die Rampe vor einen Schleiervorhang mit Projektionen verlegt. Die ins Rathaus Flüchtenden werden besonders von Marianne Gerzner, aber auch von Manfred Jaksch sowie Karl Schmidt- Werter überaus lebendig dargestellt. Die zahlreichen übrigen Rollen bieten den Schauspielern so gut wie nichts. Die Bühnenbilder von Herwig Libo- wizky entsprechen durchaus dem Ort.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung