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„Prag sollte zum Basar Europas werden"

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Mehr Internationalitat und Toleranz fordert Präsident Vaclav Havel von den Pragern, den Tschechen und den Slowaken. Gegenüber der FURCHE (Seite 4) ortet er in seinem Land einen „Schock der Freiheit", der eine gewisse kulturelle Lähmung ausgelöst habe.

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Mehr Internationalitat und Toleranz fordert Präsident Vaclav Havel von den Pragern, den Tschechen und den Slowaken. Gegenüber der FURCHE (Seite 4) ortet er in seinem Land einen „Schock der Freiheit", der eine gewisse kulturelle Lähmung ausgelöst habe.

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Prag (fmg)-Tmlz der 40jährigen Planwirtschaft des Kommunismus, kritisiert Staatspräsident Vaclav Havel in einem Gespräch mit der FURCHE, sei Prag „im Profil und in der Kommunikation ganz konzeptlos geblieben". Am Rande eines Workshops auf der Prager Burg mit Architekten und Stadtplanern aus ganz Europa sprach Havel von seiner Vision, Prag wieder zum „Basar Europas" zu machen. „Hier gab es das jüdische und das deutsche Element, unter Kaiser Rudolf II. waren die Italiener hier. Prag war eine kosmopolitische, internationale Stadt, ein Kreuzungspunkt verschiedener Kulturen, geistiger Strömungen und Einflüsse."

Geringe geistige Nähe zu Wien

Allerdings habe sich nach der Schlacht am Weißen Berg das Machtzentrum schrittweise in Richtung Wien verschoben, Prag sei zu einer Provinzstadt herabgesunken und habe seinen Charakter verloren. „Wenn es um den geistigen Charakter dieser Stadt geht, dann sollte man ihn daran binden, was Prag immer schon war, heute aber nicht mehr ist."

Zur Zeit - meint Havel - habe Prag „weniger geographische und geistige Nähe zu Wien" als Brünn oder Preßburg. Er setzt auf Beziehungen zu München oderzu Berlin. Auf alle Fälle müsse Prag wie auch die gesamte Tschecho-Slowakei internationalisiert und toleranter werden, eine „durchgängige Xenophobie" ablegen. Als Beispiel für Internationalisierung nennt Havel New York, wo man sich der vielen Nationalitäten wegen nicht als Emigrant fühlen könne, während dies in Wien oder München schon der Fall sei.

Ein großes Problem stellt für den tschecho-slowakischen Staatspräsidenten der „Schock der Freiheit" dar, "den die gesamte Tschecho-Slowakei noch einige Jahre erleben werde. Es gelte jetzt, „unsere geistige Identität zu suchen", die bis vor kurzem im Widerstand der totalitären Macht gegenüber bestanden habe. „Jetzt wurde diese niedergerissen - und wir sehen, wie die Künstler nun entgleist sind", klagt Havel. „Nach unserer Revolution ist kein herausragendes künstlerisches Werk mehr entstanden, das sie reflektiert hätte. Wir bemerken eine gewisse kulturelle Lähmung, den geistigen Zustand des Schocks."

Die ehemalige Prager „Multikul-tur" werde zwar nicht mehr zurückkommen, bedauert Havel. Er hofft aber auf eine Internationalisierung Prags in dem Maße, wie es sich dem sich einigenden Europa öffnet.

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