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Vergessenes Baudetail: Der Harem stand Pate

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Erker, die einst auch das Stadtbild Wiens entscheidend geprägt haben, sind heute fast vergessen. Auch die restlichen, noch erhalten gebliebenen, werden weder beachtet noch gewürdigt. Sogar die Kunstgeschichte schweigt noch immer über dię Vielfalt, und Pracht der vielen Erkęr, die es irį Wien vom Mittelalter bis in die Neuzeit gegeben hat.

Dabei genügt ein kurzer Spaziergang durch die Innenstadt, um noch heute, nach so vielen Zerstörungen, Amputationen und Umbauten noch etliche dieser malerischen Baudetails zu entdecken. Das älteste Exemplar ist ein Flacherker auf Steinkonsolen aus der Spätgotik, der sich am Haus Domgasse Nr. 7 erhalten hat. Einen Renaissance- Kastenerker, geschmückt mit einer Wappenkartusche über der Toreinfahrt gibt es am Bürgerhaus Nr. 17 der Sonnenfelsgasse. Ein mehrgeschoßiger halbrunder Eckerkeraus der Epoche des Barocks prangt in der Schönla- terngasse. Die Schlucht der gleichen Gasse verengt der mächtige Chorerker der Universitätskirche, getragen von zwei kräftigen Konsolen auf Wandsäulen, errichtet 1630. Die Fassade des Bürgerhaus Nsjjstiftgi^fe^Msfet ein frühbarocker Kastenerker mit einem Girlandenmotiv, geformt aus Stuck. Zwei nebeneinander placierte Barockerker blicken von der Fassade des Bürgerhauses Am Hof Nr. 12 (Urb- anikeller) nieder. Das Palais Auersperg ziert ein Rokokoerker mit Pilastern und Stuckornamentik, bekrönt von einem Zwiebelhelm.

Daß es früher in Wien viele prunkvolle Erker gegeben hat, beweisen alte Stadtansichten, Bilder und Stiche. Auf der Tafel „Heimsuchung Mariä” des Meisters des Schottenaltares, entstanden um 1475, sieht man im Hintergrund der Szene einen Teil der Kärntnerstraße, deren Bürgerhäuser drei gotische Erker zeigen. Auf der Vogel- schau-Ansicht der Stadt Wien von Jacob Hoefnagel von 1609 weist noch fast jedes vierte bis fünfte Wiener Haus ei- nerj oder gar mehrere Erker auf.

Früher bedurfte13ieriKfüng von Erkern, wie jeglicher in die Straße vorspringender Bauten, einer Genehmigung durch die städtischen Baubehörden. In Deutschland waren Erker so beliebt, daß dort bereits im 14. und 15. Jahrhundert Bauverbote erlassen werden mußten. In Wien ist es zwar nie soweit gekommen, obwohl die Liebe zu den Erkern auch hier groß war. Sie zierten Bauernhäuser, Bürgerhäuser, Rathäuser, Pfarrhöfe, Herrenhäuser, Schlösser, Wehrbauten und Tortürme. Im Wohnbau waren sie beliebt, weil sie den Ausblick in die Gassenfluchten als auch in mehrere Himmelsrichtungen zugleich ermöglichten. Im Wehrbau erhöhte der Erker die Verteidigungsmöglichkeiten.

Die Gewohnheit, Bauten mit Erkern auszustatten, kam aus dem Orient und fand seit den Kreuzzügen immer größere Verbreitung und auch immer reichere Ausbildung. Im Mittelalter baute man vorwiegend nach dem Muster der Haremserker Kasten- und Polygonalerker. Die Renaissance brachte eine Vorliebe für die Runderker. Vom späten 16. bis ins 18. Jahrhundert herrschte der Kastenerker vor. Mit konkaven und konvexen Schwüngen versehen, bildete er den Hauptakzent am barocken Bürgerhaus. In der Epoche des Historismus wird der repräsentative Charakter des Erkers besonders hervorgehoben; er erfüllt bei festlichen Anlässen die gleiche Funktion wie die Loggia oder der Balkon. Auch die Wiener Zinshäuser der Gründerzeit und die aus der letzten Jahrhundertwende wurden grundsätzlich mit Erkern ausgestattet, wobei man mehrge- schoßige Fassadenerker, Runderker an Gebäudeecken (oft mit Turmabschluß) und paarweise angeordnete Erker bevorzugte.

In den Villen- und Cottagevierteln im 13., 17. und 18. Bezirk kamen vielfach hölzerne und Fachwerkerker zur Ausführung. Sogar die Secession bediente sich dieses einst so beliebten Baudetails: das Wohnhaus Karl Fischl in der Penzingerstraße 40, erbaut um 1910, zeigt einen originellen polygonalen Erker, der von feinen gebogenen Metallstäben gehalten wird.

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