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Verkürzte Perspektive

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Alle bisher im Herold-Verlag erschienenen Werke Emilio Vasaris (Dr. Emil Csonkas), zuerst die Geschichte der beiden Versuche Kaiser und König Karls, das präfaschistische Horthy-Regime in Ungarn zu stürzen, dann die große und authentische Biographie Dr. Otto Habs-burgs, wandten sich an den relativ engen Kreis der historisch, politisch, oder überhaupt geistig Interessierten. Mit seinem jüngsten Buch, einer Lebensgeschichte der Kaiserin-Königin-Witwe Zita, ist Csonka den umgekehrten Weg gegangen. Er erzählt die Odyssee der großen Totgeschwiegenen, deren adäquate Darstellung zu homerischen Dimensionen hätte verleiten können, in jener verkürzten Perspektive, für die ein

breiteres Leserpublikum empfänglich ist, und er trifft damit haargenau dorthin, wo es für weltpolitische Zusammenhänge kein Organ gibt und wo daher das von der Ludendorff-, später von der Goebbels-Propaganda erfundene Trug- und Schreekbild, unberührt von allen Ergebnissen der Geschichtsforschung, noch heute sein Unwesen treibt. Bezeichnend ist ja, daß alle, die der Kaiserin-Witwe jemals begegnet sind, zeitlebens von der Faszination erfaßt bleiben, die von dieser bei aller Vielschichtigkeit unglaublich geradlinigen Persönlichkeit ausgeht, und daß die Unzähligen, die Zita niemals gesehen haben, es besser zu wissen glauben und Phrasen nachplappern, die von den Meinungsmachern des Tages zum Zweck des Nachplapperns und unter durchsichtigen politischen Vorzeichen erdacht wurden.

Der bisherige Erfolg des Buches gibt dem Verfahren Csonkas, die Gefühlskomponente in den Vordergrund zu stellen, die Peripetien des Zita-Dramas aber nur zu streifen, recht. Von winzigen Ungenauigkei-ten am Rande abgesehen (Luxemburg ist nicht Fürstentum, sondern Großherzogtum, Zitas Mutter war nicht eine Tochter des letzten Königs von Portugal, am 50. Todestag Kaiser Karls war Zita nicht auf Madeira), ist die Abfolge der Ereignisse völlig korrekt wiedergegeben. Auch die deutsche Übersetzung des ungarischen Originals dient der Breitenwirkung dieser Biographie. Der unentwegte Ringkampf mit dem Konjunktiv und mit der Zeitenfolge entspricht wörtlich der in Deutschland üblich gewordenen und in Österreich nachgeahmten Schreib- und Sprechweise, schafft also Nähe, wo eine lupenreine Diktion den weiteren Interessentenkreis verschreckt hätte. Auch in dieser Hinsicht hatten also intellektuelle Kritiker, die über Sentimentalitäten und den scheinbar uneingeschränkten Enthusiasmus des Autors in Hohngelächter ausbrachen, unrecht. Das Publikum, das dieses, und gerade dieses Buch kauft, kann daraus nämlich Lehren ziehen. Die Lehre etwa, daß der landesübliche Opportunismus für den Augenblick zwar Vorteile bringt, daß aber ein unbestechlicher Charakter, wie er der Kaiserin-Witwe eignete, am Ende recht behält und sogar jenes Glück findet, das den tüchtigen, wendigen, nach Wind haschenden Wetterfahnen für immer verwehrt bleibt.

ZITA, KAISERIN UND KÖNIGIN. Von Emilio Vasari. Herold Druck-und Verlags-GmbH, München-Wien. 159 Seiten, öS 493.—.

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