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War Paracelsus ein genetischer Zölibatär?

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Die Untersuchungen der Skelettreste des vor 500 Jahren verstorbenen Paracelsus sorgen für Schlagzeilen. Aber wie es sich für diesen von seinen Zeitgenossen als „seltzam wunderlich” bezeichneten „Mann” gehört, nicht in erster Linie aus dem Grund, aus dem die Internationale Paracel-sus-Gesellschaft die forensisch-anthropologischen Untersuchungen in Auftrag gab. Jahrhundertelang war nämlich gemutmaßt worden, Paracelsus sei am 21. September 1541 in Salzburg keines natürlichen Todes gestorben. Neiderfüllte Standesgenossen hätten ihn nach einem Gelage durch ihre Diener von einem Felsen herabstürzen lassen, lautete eine der vielen Legenden, die sich um seinen Tod rankten. Noch 1808 gab eine vom Anatomen Soemmering diagnostizierte Schädelverletzung der Ermordungstheorie neue Nahrung.

Wohl sind nun drei Gewalteinwirkungen festgestellt worden, die aber durch Beschädigungen bei Exhumierungen zu erklären sind. Die sterblichen Überreste des Paracelsus wurden ja 1591 und 1752 umgebettet und erst 1912 in der heute noch vorhande-. nen Kupferkassette verwahrt, die dann während des Zweiten Weltkrieges verlagert wurde, so daß nach dem Krieg erst mühsam nach ihnen gesucht werden mußte. Handelt es sich überhaupt um Paracelsus und gehören die Skelettreste zu ein- und derselben Person? Der fotografische Identitätsvergleich des Schädels mit der Inschrift „Cranium Theophrast...” und die Emissionsspektroskopie, die von der Schädelbasis bis zum Wadenbein erhöhte Quecksilberwerte ergab, bejahen diese Frage. Zugleich aber sprechen diese Werte und der noch vor dem Tod eingetretene Zahnausfall für eine chronische Quecksilbervergiftung. Und das stimmt wieder mit der

Tatsache überein, daß Paracelsus ein eifriger Laborant war und sich nicht nur theoretisch in seinen Syphilisschriften für eine Quecksilbertherapie aussprach. Der Lösung des Rätsels seiner Todesursache käme man so um einen entscheidenden Schritt näher.

Der Venus abhold

Aber die Geschlechtsdiagnose der Skelettreste gab der Nachwelt ein neues Rätsel auf. Bereits im September 1992 konnte der Universitätsprofessor Szil-vässy der Internationalen Paracelsus-Gesellschaft berichten, daß die Untersuchung des Schädeldaches mit Vorbehalt die Zugehörigkeit des Paracelsus zum männlichen, die überwiegende Zahl der Befunde über das Becken jedoch seine Zugehörigkeit zum weiblichen Geschlecht ergeben habe. Letzteres widerspricht auf den ersten Blick dem authentischen Hirschvogel-Stich, der Paracelsus mit seinem Schwert zeigt, jenem Paracelsus, der als Feldarzt am venedischen, niederländischen und dänischen Krieg teilnahm, und auch jenem, der den Grobianismus seiner Zeit in seinen Schriften durch so manchen Kraftausdruck bereicherte. Aber hat nicht Paracelsus selbst in seinen in Kärnten verfaßten „Defen-siones” von seiner „wunderlichen Weis” gesprochen und vielleicht an sich selbst gedacht, als er schrieb: „Wie können die Frauen einem hold sein, dem sein eigen Natur nit hold ist, und hat ihn verderbt in Mutterleib und nichts Guts aus ihme gemacht?” Erwiesen ist jedenfalls, daß der unverheiratete Paracelsus im Alter von 37 Jahren schrieb, daß ihm „nec Venus, sed continuus labor” bisher seine Zeit geraubt habe, und daß er im Alter von 41 Jahren den Bürgern von Sterzing vorwarf, sie hätten ihn „in Verachtung abgefertigt”, da er „der Venus kein Zutitler” sei.

Mediziner können den Widerspruch zwischen Schädeldach und Becken des Paracelsus durch das Angeborene

Adrogenitale Syndrom auflösen, das statistisch bei einer von 5.000 Geburten auftritt und zwar bei „Mädchen” viermal so oft wie bei „Knaben”.

Bei „Mädchen” können unter dem schon in der embryonalen Zeit wirksamen Einfluß vermännlichender Hormone intersexuelle Wesen entstehen, die unter anderem durch Bartwuchs und markante vordere Glatzenbildung männlich wirken, für die aber vorzeitiger Wachstumsstillstand charakteristisch ist. Sie sind natürlich unfruchtbar und sexuell desinteressiert, können sich aber durch überdurchschnittliche Intelligenz ebenso wie durch die Neigung zu Jähzorn auszeichnen. Das alles würde auch auf Paracelsus zutreffen.

Bekannt geworden ist Paracelsus vor allem als Arzt, der im Vergleich zu der von ihm bekämpften Schulmedizin seiner Zeit Bahnbrechendes geleistet hat. Erst durch die Forschungsarbeit des evangelischen Theologen Goldammer in unserem Jahrhundert ist der „theologisierende Arzt” Paracelsus ganz entdeckt worden. Unter seinen 28 Bände füllenden Werken finden sich 99 theologische Schriften über das selige Leben, Gott, Christus und Maria, Kirche, Taufe, Buße und Abendmahl, alt- und neutestament-liche Kommentare, Sermones und polemische Schriften zu sozialen und politischen Themen, von denen keine zu Lebzeiten veröffentlicht wurde.

Theologischer Hochstapler

Im Alter von 43 Jahren unterschrieb er sich als „Theophrastus von Hohenhain!, der heiligen gschrift und beder Artzney Doctor”, obwohl er nicht Theologie studiert hatte. Das war nur Ausdruck seines religiösen Sendungsbewußtseins. Wie viele Kontroverstheologen seiner Zeit fühlte er sich zur Auslegung der ihm heiligen Schrift berufen. „Doctores der heiligen ge-schrift, die aus göttlicher fürsehung do sind”, durften und sollten zölibatär leben, meinte der sonst für den heiligen Ehestand eintretende Paracelsus.

Ob sein Bekenntnis zum Zölibat ein bewußter Verzicht oder die Rationalisierung eines genetischen Defekts war, wird sich auch mit den modernsten wissenschaftlichen Methoden nicht aus seinen Skelettresten herauslesen lassen. Die Frage, ob Paracelsus nun ein Mann oder eine Frau oder eine andere Spielart der Natur war, sollte uns eigentlich nur deshalb beschäftigen, weil wir an Hand dieses Beispiels erkennen können, wie wenig das mit dem Rang eines Menschen zu tun hat.

Im Verlag Nieder-österreichisches Pressehaus erschien vom Autor dieses Beitrags kürzlich das Werl? PARACELSUS IN ÖSTERREICH.

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