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Paracelsus und die „Große Wundarznei“

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Aus dem Dunkel medizinischer Unwissenheit und Scharlatanerie des Mittelalters ragt einsam das Phänomen jenes Theophrast von Hohenheim, der sich selbst Paracelsus und „Monärcha Medi-corum“, Fürst der Ärzte, nannte. In einer Unzahl von Arbeiten und Büchern ist versucht worden, dem Rätsel seines Wesens näherzukommen und seiner Bedeutung für die Entwicklung zahlreicher Teilwissenschaften der Heilkunst gerecht zu werden. Wenn an dieser Stelle ein so eng umschriebener kleiner Ausschnitt aus dem Riesenwerk des Hohenheimers, wie es die Vorworte zur .Großen Wundarznei“ sind, betrachtet werden soll, so ist der Grund dafür in einem Problem zu suchen, das gerade heute in der Zeit der veränderten Gesellschaftsstrukturen wieder einmal in den Blickpunkt des öffentlichen Interesses gerückt ist: die Stellung des Arztes zum Menschen und des Menschen zum Arzt.

Die „Große Wundarznei“ ist ein Spätwerk des Paracelsus, das er 1536 beendet hat; es stammt also aus einer Zeit, da er in seinem Leben schon die Erfahrungen gemacht hatte, die in seinem Wahlspruch ihren Niederschlag finden: .Wer ein eigener ist, bedarf nicht der Anlehnung an andere.“ Gerade deswegen ist nicht nur das objektive Werk, das in den Traktaten der „Wundarznei* geoffenbart wird, interessant, sondern1 gewinn an darüber hinaus besonders die Vorworte als per-

sönlicher — bei Paracelsus sehr persönlicher — Teil tiefere Bedeutung, In ihnen spiegeln sich konzentriert der Gewissenskampf, die Zweifel und Anfechtungen des Arztes wider, der, um Rat für die Leiden seiner Mitmenschen suchend, auf Floskeln, unhaltbare Theorien und Irrtümer seiner Fachgenossen stößt. Mit knappen, wuchtigen Sätzen, in denen man das suchende Ringen des Hohenheimers mitzuerleben vermeint, berichtet er davon, wie ihm das Wort des Herrn: „Die Gesunden bedürfen keines Arztes, allein die Kranken“, zum Licht geworden ist, dem er in der Folgezeit getreulich Folge leistete.

So wie sein ganzes Sinnen und Tun In gleichem Maße allen Schichten des Volkes zugute kam, so sind auch die Vorworte in diesem Sinne gekennzeichnet: eines ist eine Widmung an den König (Ferdinand I.), ein anderes an den Arzt (unter anderem, an seinen Freund Wolfgang Thalhauser, Stadtarzt in Augsburg) gerichtet. Hier findet sich ein Wort an den Kranken und dort eines an den „unparteilichen Leser“. In ihnen allen aber sucht Paracelsus in erster Linie die Jugend in seinem Sinne zu beeinflussen und zu beraten, tief überzeugt von der Richtigkeit seiner ärztlichen Autorität: „Dank, Ehre und Lob habe ich erreicht und dies unvergänglich ...“

An sich läßt die Ausdrucksweise In diesem Vorwort an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig. Sie bedient sich oft und gerne der direkten Anrede und kennt keine rhetorische Verschnörkelung. Dies führt zu einer Sinnklarheit, die gemein-

sam mit einer für Paracelsus charakteristischen metaphysisch religiösen Denkart den modernen Leser angenehm berührt. So erhalten durch alles Expressive, das in ihnen lebt, die Vorworte der .Wundarznei“ eine eigene Existenzberechtigung, die sie neben dem Werk, dem sie vorstehen, gleich wertvoll bestehen läßt.

Paracelsus gilt als Praktiker, dem über allem Spekulativen das Helfen geht. Der erste Satz des Vorwortes zum dritten Teil des Buches kündet davon: „Die größte

Perle und der edelste Schätz ist die Heilung, die in der ganzen Medizin für alles möglich, und es ist nichts größer auf Erden, als Kranke zu heilen.“ Daß nichts größer auf Erden sein soll, als Menschen zu heilen, scheint für philosophische Spitzfindigkeit anfechtbar. In der Argu mentation des Hohenheimers wird auch dieses Wort verständlich, wenn er schreibt: .Da ist nichts, was liebevoller wäre dem Nächsten gegenüber, als ... ihn wiederum zu Macht und Stärke zu bringen, damit er Gott das geben kann, wozu er geboren ist, und welches ein Kranker nicht vollbringen kann, sondern tot und erschlafft liegt wie ein Tier.“ Hier spricht Paracelsus biologisch In einer sicher auch für die damalige Zeit schon

kühnen Wendung eine Ansicht aus, die nicht sosehr im Widerspruch mit dem ärztlichen Ethos steht, als man annehmen möchte. Einerseits ist nämlich der zitierte Absatz aus dem Geist der Zeit und dem Sinn der „Großen Wundarznei“ zu deuten, die für den einfachen Menschen — für Scherer und Bader — geschrieben wurde und daher zu einem guten Teil diese ursprünglichen Vergleiche braucht. Andererseits kommt ihm doch auch objektive Bedeutung zu, denn er gibt ein wahrhaftes Zeugnis von der metaphysischen Auffassung des Paracelsus, der aus der Ehrfurcht vor dem Leben in seiner Macht und Fülle ein Heilender wurde.

In den vorliegenden Abschnitten seiner Schriften finden sich auch einige Stellen, in denen er darüber berichtet, wie wenig angesehen er bei den eingesessenen, im hochmütigen Standesdünkel erstarrten Ärzte ist, und wie jene gegen ihn ankämpfen. Hier liest man bei allem Stolz, der scheinbar unberührt von diesem Treiben aus den Zeilen spricht, doch

immer wieder einen wehen Ton heraus, der von dem verletzten Menschen in ihm spricht und von den Opfern, die er seiner Sendung brachte: .Weiter Ist es, daß ich gewaltig deswegen verachtet werde, well ich all meine Tage keinen bleibenden Ort gehabt habe... Nun sagt mir, habe Ich unrecht getan, wenn ich auf meinem vielfältigen Wandern gelernt und erfahren habe, der Kranken Schaden zu wenden?“

Stellenweise steigert sich der Stil in den Vorworten zu drastischen Ausdrücken, die In ihrer Direktheit fast derb anmuten, es aber doch nicht sind, da mildernd in ihnen eine merkwürdige Melodie liegt, die dem Leser fast den Eindruck gebundener Sprache vermittelt. Das ist etwa dort der Fall, wo er seine Gegner charakterisiert: „Schreier und Schwätzer sind sie in Pomp und Pracht und sind doch nichts anderes als ein Totengrab, welches auswendig schön, doch innen ein faules Aas voller Würmer ist.“ Neben solchen Wendungen findet man hier aber auch pointierte Sentenzen, die Ausdruck der subtilen Denkart des Hohenheimers sind: .Die Weisheit hat keinen Feind als den, der. sie nicht versteht.“ Aus diesem klassischen Satz erschließt sich die ganze Spanne und Größe paracelsischen Gedankengutes, es ist ein Satz, der würdig den Wortperlen unserer wissensdiaftlichen und schöngeistigen Literatur anzureihen wäre.

So rundet sich aus dem Eindruck der Vorworte über Jahrhunderte hinweg das Bild des Hohenheimers als eines universellen Ethikers zu einer harmonischlebendigen Vorstellung ab. Obwohl er die Grenzen seiner ärztlichen Macht kannte,

dachte Paracelsus doch weit über den Zeithorizont hinaus und wurde so zeitloser Prophet. Dieses Verdienst wird ihm immer unbestritten bleiben müssen. Gleichzeitig aber und darüber hinaus spricht aus den Vorworten in reiner ursprünglicher Fassung jener wahre Helfergeist, der die Asymptote strebenden Ärztemühens und tatsächlichen Helfen-könnens immer weiter treibt. Für die Kranken schreibt Paracelsus hier: „Der Arzt ist euer Nächster und Gott ist S3in Nächster.“ In diesen Worten liegt guter Trost für den einen, Verpflichtung für den anderen, eine eherne Verpflichtung, die dieser große Arzt allen seinen Nachfahren als erstes und oberstes Gebot nahelegt; für sie gilt auch die letzte, tiefgründige Mahnung seiner Vorreden zur „Wundarznei“, welche keiner Interpreta-tation mehr bedürfen: „...und fleißet euch, vollkommen zu sein in eurer Kunst, denn Gott hat sie vollkommen geschaffen, damit dann eure Werke Gott loben, ehren und preisen.“

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