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Wir sind endlich auf den Animateur gekommen!

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Nachdem wir jetzt endlich die prophetischen Worte einiger unserer bedeutendsten Schriftsteller eingeholt haben, indem wir uns selber mit sozusagen muskellosem Antlitz zum Volk der Kellner und Friseure denaturierten oder als romantisch verkleidete Fremdenführer auftraten, haben wir diese sonderbare Beschäftigung nunmehr noch stilisiert und vervollständigt: Wir

haben die Einträglichkeit des Animierens entdeckt und stellen uns daher als Animateure dem ewig darbenden Fremdenverkehr zur Verfügung!

Letzten Erkenntnissen zufolge geht die Entwicklung dieses Fremdenverkehrs nämlich dahin, daß es nicht mehr genügt, nur gastfreundlich zu sein und ein interessantes Panorama anzubieten, sondern daß man den ausländischen Gast auch noch mit charmanter Liebedienerei überraschen muß, wenn man ihn alljährlich von neuem und gewinnbringend an Land ziehen will.

Und so wird jetzt an die Stelle der Blasmusikkapelle das ganze Dorf musizierend und jodelnd aufzutreten haben, wird eine ganze Alpenregion für dieses Amüsierbedürfnis in Anspruch genommen werden, das nicht mehr nach nationaler Würde und

individueller Moral fragt, sondern sich um den Preis eines Pauschalarrangements austoben will.

Nicht umsonst haben die Spezialisten unserer Fremdenverkehrswirtschaft den sogenannten Animateur wiederbelebt, wobei man darunter einen österreichischen Bürger versteht, dem betriebsame Geselligkeit nicht nur ein gelegentliches Bedürfnis, sondern eine Lebensanschauung ist. Ein Ani-

mateur animiert den ausländischen Gast bei jeder sich bietenden Gelegenheit zu jeder nur vorstellbaren Variation der lockeren Lebensart, wobei man sich darunter freilich nichts Unmoralisches vorstellen darf, weil ja der Fremdenverkehr an sich eine moralische Institution ist.

Wir sind also endlich auf den Animateur gekommen, ohne den es den gelungenen Fremdenverkehr wahrscheinlich gar nicht mehr geben wird. Und das hat weder ein Robert Musil, Ignaz Seipel oder Karl Kraus vorhergesehen, die alle unter diesem Begriff etwas gänzlich Anderes verstanden haben. Aber die Zeiten ändern sich bekanntlich, und mit ihnen selbstverständlich auch die ethischen Begriffe. Und zwar vor allem dort, wo dieser Fremdenverkehr schon zu einer Art Staatsreligion geworden ist.

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