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Zorniger Rückblick

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Mit einem „Wahlergebnis”, wie es sonst nur Diktatoren erzielen, die weniger die Herzen ihrer Völker als vielmehr den Wahlapparat beherr-sdien, haben sich in einer großen Meinungsbefragung 99,92 Prozent von 60.000 befragten Besuchern der letzten Ober ammergauer Passions-spiele mit deren gegenwärtiger Form einverstanden erklärt und damit, so Bürgermeister Emst Zwink von Oberammergau, ein ebenso klares Nein zu jeder „modischen Anpassung” der Spiele ausgesprochen. Über Sample und sonstige Modalitäten der Umfrage wurde freilich zu wenig bekannt, um ihre Stichhaltigkeit beurteilen zu können. Das Buch, in dem der Bürgermeister nun seine Statements an die öffent-lidikeit brachte, ist dabei selbst ein erstaunliches Beispiel für „modische Anpassung”: Die Bilanz der Spiele von 1970 ist in rotes Leinen gebunden und trägt als Titel den wenig abgewandelten Anfangssatz der „Internationale”: „Völker hörten Signale.” Es ist voll von lobenden Selbstzensuren, so hat Oberammergau in seinem eigenen Selbstverständnis das Kreuz gegen die „terrorisierenden Salonpartisanen des Atheismus” und die „Pest der Glaubenslosigkeit” hochgehalten. Es hagelt aber auch negative Zensuren für adle, die Oberammergau kritisierten. Die zornige Gemeinde ist offensichtlich nicht bereit, selbst der wohlwckllenden Kritik — so bald es sich wirklich um Kritik handelt — ihr Ohr zu leihen. Prälat Dr. Höck vom Erzbischöflichen Ordinariat München wird von Spielleiter Preisinger, der beruflich als Klosterjäger amtiert, empfohlen, sich lieber mehr der Missionierung Drogensüchtiger und Pornofreude zu widmen. Höck hatte im Sommer in einem offenen Brief Kritik am Festhalten an den überkommenen Texten geübt („Die Zeit der sanften Naza-rener und der germanischen Helden ist… vorüber”), will aber, wie er erklärt, den Oberammergauem für 1980 keineswegs Pop-Apostel vorschlagen. Pop dürfte bis dahin ohnehin passe sein, Höck weist jedoch darauf hin, daß die Spiele bisher in jedem Jahrhundert verändert und gewandelten Auffassungen angepaßt wurden.

Auch die jetzige hart umkämpfte und antisemitischer Tendenzen verdächtigte Fassung ist erst knapp mehr als hundert Jahre alt, sie stammt von Geistlichem Rat Alois Daisenberger, der sich auf den Text des Ettaler Benediktinerpaters Weis stützte. Für 1970 wollte wieder ein Ettaler Benediktinerpater, Stephan Schaller, die Spiele umschreiben, aber seine Fassung wurde vom Pas-sionsspielkomitee abgelehnt. Auch ihm gegenüber verzichtet die Oberammergauer Bilanz auf alle höflichen Floskeln, er soUe, heißt es da, froh sein, daß man ihn nicht durch die Veröffentlichung seines Textes lächerlich mache. Allerdings: Schaller hat sich nach seiner Zurückweisung als Autor auch nicht gerade als einer der zurückhaltenderen Kritiker an den Oberammergauer Spielen in ihrer jetzigen Form gebärdet.

Oberammergau hatte 1970 bekanntlich keinen leichten Stand, der schon 1950 und 1960 laut gewordene Antisemitismusvorwurf führte heuer zu zahlreichen Abbestellungen (trotzdem kamen 530.000 Menschen aus

113 Ländern), und selbst Kardinal Döpfner wies in Oberammergau darauf hin, die Spiele seien zwar „nicht ausdrücklich judenfeindlich”, bedürften aber für 1980 abermaliger Verbesserung.

Die Oberammergauer reagierten schon während der Spiele hart und es überwogen Erklärungen wie „Wir haben um unser Spiel vielleicht genauso gekämpft und gelitten wie die Juden” (der aus Oberammergau stammende CSU-Sekretär Streibl) oder „Oberammergau hat noch nie einen Antisemitismus gehabt und wird nie einen haben” (Spielleiter

Preisiniger) oder „Wenn heute gewisse jüdische Kreise oder Freundeskreise des jüdischen Volkes den Passionsspielen in Oberammergau mit Protesten begegnen, so ist das ein in der Welt der geiistigen Freiheit unfaßbarer, unverständlicher Vorgang. Nur Diktatoren bringen es über sich, in das Reich der Freiheit zerstörend einzudringen” (Monsignore Hiltl im offiziellen Passionsspieiführer).

Solche Äußerungen erzeugten Mißmut und wurden als Symptom gewertet. Die apostroi>hierten „jüdischen Kreise” sehen heute im nachgerade erstaunlich festen Beharren auf den unveränderten alten Texten bereits eine deutlichere Bestätigung ihres Verdachtes als In den „inkriminierten” Stellen selbst. Etwas verständnisvollere Äußerungen aus Oberammergau hätten zweifellos dde Atmosphäre entgiftet. Aber statt irgendwelcher Konzessionen, wenn auch nur verbaler Natur, hedßt es am Schluß des roten Bandes „Völker hörten Signale” mehr germa-nisch-trutzig als christlich, Oberammergau werde sich weder einschüchtern noch erpressen lassen. Damit scheinen die Weichen zu einer weiteren Eskalation der Proteste einerseits und der Proteste gegen die Proteste („heuchlerisches Pathos…”, „reaktionäre Meinungsmacher…”) anderseits für 1980 bis auf weiteres gestellt.

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