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Zwei Böden der Moral: Ein Opfer

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Das hat der Hans Weigel schon vor 20 Jahren geschrieben: daß die Kunst die Wiener nur in Form von Personen interessiert. Sie klatschen den Helden am Dirigentenpult und am Bühnenrand, nicht dem Autor oder seinen Figuren, dem Stück, gar seiner Botschaft zu. Und am liebsten bekämen sie täglich zum Abendessen einen dramatisierten Schlüsselroman serviert.

Diese Woche kriegen sie ihn: „Die Bürger" von Peter Turrini spießen auf Volkstheaterbrettern verlogenes Spießbürgertum auf, und verlogenen Typen gehört in der Tat ein Theaterspiegel vors Gesicht gehalten — aber auch denen, die diesmal klatschen!

Kurz die Fakten: Der als Kommunist irrelevante, als Autor gewiß Beachtung verdienende Peter Turrini erhielt den Auftrag, ein zeitkritisches Stück fürs Volkstheater zu schreiben, und ging mit Mikrofon und Tonband unter die Leute, die er fertigmachen wollte: In seinem Stück sind das ein Intendant, ein sozialistischer Abgeordneter und ein Unternehmer.

Den Unternehmer erkennt kein Mensch als lebende Person, den sozialistischen Abgeordneten auch nicht mehr, seit einige Details gestrichen wurden. Den Intendanten erkennt und kennt mittlerweüe ein jeder: Ernst Wolfram Marboe und Familie sind rufgemordet.

Man könnte darüber zur Tagesordnung übergehen und sich wieder einmal für die in diesem Fall wirklich krähwinkelige Wiener Kulturszene genieren, gäbe es dazu jetzt nicht den allzu deutlichen Versuch, den ungeliebten, weil gewiß für alle unbequemen FS-2-Intendanten im Namen künstlerischer Freiheit zu erledigen.

Nicht der erfolgreiche Interventionsversuch, den SPÖ-Abgeord-neten zur undurchschaubaren Maske zu entschärfen, empört: Darauf hatte dieser ein Recht.

Ein ebensolches Recht auf ebensolche Behandlung hatte aber auch der noch schimpflicher behandelte Intendant. Ihm wurde sie verweigert. Ausgerechnet von prominenten Sozialisten wurde das Stück in seiner nunmehrigen Fassung gegen „Versuche der Zensur" verteidigt. v

Hier triumphiert nicht Freiheit der Kunst, sondern Heuchelei -jene, die man auf der Bühne treffen möchte. Es gibt Leute, die einfach jetzt deshalb applaudieren, weil das Stück die Doppelbödigkeit katholischer Sozialmoral bloßstelle. Die Doppelbödigkeit sozialistischer Interventionen läßt es ungeschoren, die Doppelzüngigkeit süffisanter Einflüsterer, die den Verdacht von einem SPÖ-Abgeordneten nun auf einen anderen ablenken, auch.

Diese Bürger, rote, schwarze, scheckige, gehören auf die Bühne! Aber Turrini will sein nächstes Stück ja über Journalisten schreiben. Soll das Ernst Marboe um letzte Schützenhilfe bringen?

Das wäre schändlich. Soll der Turrini schreiben, was er will.

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