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Ein kaltes, böses Stück

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Peter Turrini hat ein neues Stück geschrieben, das „Die Bürger" heißt und in dieser Woche im Volkstheater uraufgeführt wird. Aufmerksame Zeitungsleser wissen schon: Für mindestens drei Hauptfiguren haben reale, in der Öffentlichkeit stehende Personen Material geliefert, indem sie sich mit Turrini bei laufendem Tonband unterhielten.

Den Abgeordneten hätte ich ohne Nachhilfe nicht erkannt. Was er sagt, könnten, so oder ein bis-serl anders, viele gesagt haben.

Den als Historiker, Buchautor und Essayist weit über Österreich hinaus bekannten Intellektuellen hört, wer ihn kennt, aus manchen Sätzen des „Alten" heraus, aus anderen wiederum gar nicht, die sind also wohl eindeutig von Turrini.

Und das gilt ja wohl auch für den „Intendanten" (in früheren Fassungen: „Fernsehintendant"), den man nicht nur an seinen Redewendungen, sondern auch an körperlichen Eigentümlichkeiten erkennt. Er deklariert sich als Christ, geht aber mit einem jugoslawischen Dienstmädchen hinter die Couch und kommt unten unbekleidet wieder hervor—laut Regieanmerkung des Autors. Im Volkstheater wohl kaum. (Uber die Aufführung berichten wir in der nächsten Ausgabe.)

Es kam, wie es kommen mußte, die öffentliche Voraus-Kontro-verse um Turrinis „Bürger" eskalierte. Ich finde, daß Turrini auch in der endgültigen Fassung die reale Person nicht ganz unkenntlich gemacht und sich damit als Autor anfechtbar, als Mensch aber — doch keineswegs einziger in diesem Fall — enttäuschend verhalten hat. Unabhängig davon muß man sich mit dem Stück „Die Bürger" auseinandersetzen.

Was der Titel „Die Bürger" verspricht, löst der Text nicht ein. Man könnte das Bürgertum noch härter kritisieren, dabei aber auch genauer darstellen. Turrinis Arrivierte sind nur ein kleiner Teü des Bürgertums, das er offensichtlich verabscheut, aber wenig kennt. „Bürger"? Ja. „Die Bürger"? Nein.

Ort: Das Haus eines reichen Arztes. Handlung: Eine Party und der Selbstmord des Arztsohnes am nächsten Morgen. Es geht so zu, wie, dem Vernehmen nach, auch dann und wann in Wirklichkeit bei derartigen Veranstaltungen der Schickeria. Hieße das Stück „Die Arrivierten", würden sich Titel und Inhalt decken. Trotzdem ist sein Stück ernstzunehmen. Erstens erfährt hier das Bürgertum, wer immer sich betroffen fühlen mag, wie einer, der nicht dazugehört und nicht dazugehören will, es sieht. Zweitens und vor allem aber: Turrini schlägt zwar um sich, schlägt, wohin er trifft, auch unter die Gürtellinie, auch dorthin, wohin er nicht schlagen sollte, dabei aber auch überraschend oft ins Schwarze.

Einseitigkeit kann man ihm nicht vorwerfen. Er schenkt auch dem sozialistischen Abgeordneten nichts. Er zeigt einen widerwärtigen Interessenfilz, bei dem es, keineswegs hinter der Couch, jeder mit jedem treibt, wissend, was er tut und sich dabei noch selbst bedauernd. Er schlägt eigentlich nicht das Christentum und nicht den Sozialismus, sondern die Heuchler. Er schildert eine Gesellschaft, wie er sie sieht, kalt, scharf und erbarmungslos, Partei nur nehmend für den Alten und für den stumm bleibenden Sohn des Hauses.

Es gibt sogar eine Szene, die ich so verstanden habe: Der Abgeordnete deutet an, daß geschmiert werden muß.

Den Konterpart der erfolgreichen Vierzigjährigen bildet der im Rollstuhl räsonierende .Alte".

„Die Bürger": Vor allem ein trauriges, ein tieftrauriges Stück.

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