7124522-1996_50_18.jpg
Digital In Arbeit

Mut statt Kritiklosigkeit

Werbung
Werbung
Werbung

Aus gegebenem Anlaß”, nämlich der Bestellung des neuen Wiener Kulturstadtrats, wurde in den Zeitungen viel über Sinn und Ziel vori Kulturpolitik geschrieben. Nun geht es nicht darum, solch ein Thema zu diskutieren, denn darüber sollte längst Klarheit bestehen. Wiederum wurde dargetan, daß es drei verschiedene Positionen gibt: Neben einer „ideologischen” Kulturpolitik eine „christlich-humanistische” und eine „liberale” Haltung. Die „ideologische” stößt zwar in den meisten Zeitungen auf Mißbilligung, bewegt aber auch Blätter mit bürgerlicher Leserschaft zu nostalgischen und glorifizierenden Gefühlen, wenn es sich um eine radikal anarchistische und antibürgerliche Ideologie handelt. Sie gilt als besonders kunstfreundlich und schick, gerade auch in großbürgerlichen Kreisen. Das war immer so, man lese nur in Dostojewskijs „Dämonen” und Turgenjews „Väter und Söhne”. Die „liberale” Haltung steht zwar der „ideologischen” absolut fern, ist ihr scheinbar entgegengesetzt, in der Praxis jedoch ihr ungemein förderlich: die Dynamik der Ideologie kommt in ihr erst so richtig zur Geltung. Unter dem Schirm ängstlicher, mit sich selbst kokettierender bürgerlicher Toleranz erhalten die Ideologien erst richtig ihre Schärfe, auch wenn diese mit Kunst und Kultur kaum etwas zu tun hat. Mit dem Applaus aus den vorderen Parkettreihen haben seit eineinhalb Jahrhunderten dürftigste Tendenzstücke kurzlebige Erfolge gefeiert. Nun, die dritte Haltung, die „christlich-humanistische”, kam in der jüngsten Diskussion kaum zur Geltung. Sie gilt als vorgestrig und wird meist mitleidig belächelt. Manche haben sie sogar zu Hause und wagen es nicht, sich in der Öffentlichkeit zu ihr zu bekennen. Sie würde nämlich zwar nicht Ideologie, aber einen festen Standpunkt erfordern. Wie wäre es überhaupt, die künstlerische Qualität als Kriterium der Kulturpolitik zu wählen? Aber wer bestimmt, was Qualität ist? Dazu gehört erstens Kenntnis, zweitens Mut, diese Kenntnis anzuwenden. Da ist es doch stets am gefahrlosesten, eine kritiklose und grenzenlose Förderungseilfertigkeit zu beweisen, die alles umarmt, was entsteht und möglich auch skandalgesteigerten Effekt hat. Dies ist die bequemste Lösung - und die Qualität geht vor die Hunde.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung