Fallstricke der Diktatur"

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Viviana Diaz, Präsidentin der Vereinigung Angehöriger verschwundener Häftlinge (AFDD), im Interview.

Die Furche: Wie beurteilen Sie die Entwicklungen in Chile in den letzten Monaten?

Viviana Diaz: Wir sind bei der Aufarbeitung der Menschenrechtsverletzungen um vieles weitergekommen. Die Verurteilung der Führungsriege des Geheimdienstes dina ist ein Beispiel. Wir hoffen, dass diese Prozesse jetzt nicht durch die Sechs-Monats-Frist, die der Oberste Gerichtshof für Voruntersuchungen bei Verfahren zur Diktatur festgelegt hat, verhindert werden. Wir befürchten, dass diese Frist den Militärs in die Hände spielt. Sie wäre kein Problem, wenn die Gerichte schon in der Diktatur ihrer eigentlichen Aufgabe nachgekommen und Menschenrechtsverletzungen verfolgt hätten. So aber fangen die Ermittlungen gerade erst an, und dafür kann eine Beschränkung auf sechs Monate fatale Folgen haben.

Die Furche: Seit 1990 hat Chile eine frei gewählte Regierung. Aber erst jetzt kommt wirklich Bewegung in die Aufarbeitung der Diktatur. Warum musste so viel Zeit vergehen?

Diaz: Es hat 15 Jahre gedauert, weil der Übergang von der Diktatur zur Demokratie hier als ein Pakt beschlossen wurde, bei dem die Militärs und die chilenische Rechte die Spielregeln bestimmten und den Mantel des Schweigens über die Menschenrechtsverletzungen unter Pinochet breiteten. Pinochets Verfassung sowie die Selbstamnestie der Militärs sind nach wie vor gültig. Deshalb sind bisher auch nur sehr wenige Militärs überhaupt verurteilt worden. Jetzt, nach 31 Jahren, kam es zum ersten Schuldspruch im Fall eines verschwundenen Häftlings. Insgesamt gibt es aber mehr als 1100 solcher Fälle.

Die Furche: Kann heute von Demokratie in Chile gesprochen werden?

Diaz: Solange die Verfassung und die Amnestie noch gelten, kann von einer wirklichen Demokratie keine Rede sein. Wir befinden uns noch immer in der Übergangsphase und leben mit vielen Fallstricken aus der Diktatur. Die Verfassung sichert der Rechten eine Mehrheit durch die Benennung von Senatoren zu, sodass viele Gesetzesänderungen gar nicht durchkommen.

Die Furche: Erst im November 2004 wurde ein Bericht über die Folter in Chile veröffentlicht ...

Diaz: Der Staat stand bei den Gefolterten in großer Schuld. Sie sind bislang aus den Untersuchungen über die Diktatur ausgeschlossen gewesen. Jetzt gibt es Forderungen, die Anhörungen zu verlängern, denn es haben noch längst nicht alle ausgesagt. Schätzungsweise wurden 300.000 Menschen gefoltert, aber erst 35.000 legten Zeugnis ab.

Die Furche: Wie wird die Aufarbeitung der Menschenrechtsverletzungen in der Öffentlichkeit wahrgenommen?

Diaz: In den Medien stehen die eigentlichen Opfer nicht an erster Stelle, und die Lage wird oft verdreht. So erschien Oberst Germán Barriga, der sich vor einem Monat angesichts des drohenden Verfahrens umgebracht hat, als Verfolgter der Justiz. Er aber hat Geheimnisse mit ins Grab genommen, von denen wir jetzt nur hoffen können, dass ein anderer darüber aussagt. Doch langsam gewinnen wir die Zuneigung der Leute. Immer mehr Menschen feiern mit uns, wenn wir einen Durchbruch erreicht haben. Wenn die Leute mehr Informationen erhielten, würden sie unser Anliegen besser verstehen. Aber wir sind zufrieden, dass unser Kampf endlich Ergebnisse bringt. Sie zeigen: Wenn es einen Willen in der Justiz gibt, ist Gerechtigkeit auch möglich.

Das Gespräch führte Antje Krüger.

Viviana Diaz ist die Tochter von Victor Diaz, ehemals Mitglied der Kommunistischen Partei Chiles und seit 1976 verschwunden. Diaz sucht nach dem Verbleib ihres Vaters und klagt im so genannten Fall Calle Conferencia, benannt nach der Straße, auf der die

Mitglieder der Partei verhaftet wurden und verschwanden.

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