Albanisches Flussjuwel Vjosa - Mit 270 Kilometern unverbauten Flusslaufs hält der albanische Fluss Vjosa den Europarekord. Um die Einzigartigkeit dieses und anderer Fließgewässerjuwelen auf dem Balkan zu schützen, formiert sich immer mehr Widerstand. - © Wolfgang Machreich

Kraftwerksbau am Balkan im Kolonialstil

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Der Balkan ist mit seinen einzigartigen Flüssen und Bächen das „blaue Herz Europas“, sagt River-Watch-Experte Ulrich Eichelmann. Heftige Kritik übt er am Kärntner Unternehmen Kelag, das mit in Österreich undenkbaren Wasserkraftprojekten diese Einmaligkeit zerstört.

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Der Balkan ist mit seinen einzigartigen Flüssen und Bächen das „blaue Herz Europas“, sagt River-Watch-Experte Ulrich Eichelmann. Heftige Kritik übt er am Kärntner Unternehmen Kelag, das mit in Österreich undenkbaren Wasserkraftprojekten diese Einmaligkeit zerstört.

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Der mehrfach international ausgezeichnete Natur- und Umweltschutzaktivist Ulrich Eichelmann ließ sich auch von Corona nicht stoppen und reiste in den Kosovo, um sich vor Ort ein Bild von den Flusszerstörungen bei Kraftwerksbauten der Kelag zu machen. Sein Resümee ist erschreckend.

DIE FURCHE: Herr Eichelmann, Ihre Umweltschutz-NGO RiverWatch engagiert sich für die Erhaltung der Flusslandschaft auf dem Balkan – warum haben Sie diese Schwerpunktregion gewählt?

Ulrich Eichelmann: Auf dem Balkan finden wir noch intakte Bäche, Flüsse und Auen in einer Vielfalt und Größe, die es im restlichen zentraleuropäischen Raum seit 150 Jahren nicht mehr gibt. Das ist eine positive Folge der langen politischen Isolation und einer Phase wirtschaftlicher Instabilität nach den 1990er Jahren. Die Länder Ex-Jugoslawiens und Albanien waren für Investoren lange Zeit zu unsicher. Deshalb blieben die Flüsse dort über Jahrzehnte unberührt. Das zeigt, dass man nur lange genug hinten bleiben muss, damit man wieder vorne ist. Die haben noch jenen guten Zustand der Gewässer, den die EU-Staaten mit der Wasserrahmenrichtlinie zu erreichen versuchen. Das ist die gute Seite.

DIE FURCHE: Und die schlechte?

Eichelmann: Seitdem sich der Raum wirtschaftlich stabilisiert, entdecken Investoren diese Naturschönheiten als Energiemarkt. Laut unserer jüngsten Erhebung sind von Slowenien bis Griechenland rund 3500 Wasserkraftwerke geplant. Das ist enorm, aber wir sehen auch erste Erfolge unserer breiten Bewegung: Die Anzahl der im Bau befindlichen Wasserkraftwerke hat 2017 mit 180 den Höhepunkt erreicht und geht seitdem kontinuierlich runter. Noch etwa 100 waren vergangenen Herbst in Bau.

DIE FURCHE: Woran liegt das?

Eichelmann: Immer mehr Menschen auf dem Balkan erkennen, dass das ihre Heimat und ihre Werte sind, die irgendjemand anderem Geld bringen sollen. Flüsse, die für alle fließen, gehören plötzlich nur noch mehr Banken und Unternehmen, die daraus Gewinn machen.

DIE FURCHE: In diesem Zusammenhang werfen Sie europäischen und vor allem auch österreichischen Unternehmen Kolonialismus vor.

Eichelmann: Diese Aussage bezieht sich neben anderen Beispielen auf die Kelag (Kärntner Elektrizitäts-Aktiengesellschaft) und ihre Tochterfirmen, die vor allem im Kosovo und in Bosnien und Herzegowina Wasserkraftprojekte auf eine Weise umsetzen, wie es das bei uns nicht mehr geben würde. Dabei treten Kelag-Mitarbeiter zum Beispiel in der kosovarischen Hauptstadt Prishtina „wie Kolonialisten auf“ – das Zitat stammt nicht von mir, sondern wir haben diese Informationen über das dominante Auftreten der Kelag aus dem dortigen Umweltministerium und von anderen Betroffenen erhalten.

DIE FURCHE: Haben Sie sich selbst ein Bild von der Situation gemacht?

Eichelmann: Ja, ich war im Oktober des Vorjahrs im Kosovo und habe die zerstörerischen Kraftwerke in einem Nationalpark besucht. Die haben dort unglaublich gefuhrwerkt, ein ganzes Tal durch den Schotterabbau mehrere Meter tiefergelegt. Wo früher Wiesen waren, versickert jetzt der Gebirgsbach, von Ausgleichsmaßnahmen keine Rede. In Bosnien-Herzegowina habe ich mich gemeinsam mit einem ZDF-Team vor einigen Jahren mit Vertretern der Kelag getroffen. Dort wurden Flüsse zerstört, in denen Huchen – eine global bedrohte Fischart, die auf dem Balkan ihre letzte Oase findet – lebten. So etwas wäre in Österreich unmöglich. Wir haben uns die Fischleitern am Fluss Ugar angeschaut. Das ZDF machte Aufnahmen und befragte Experten, die diese als nicht funktionstüchtig bewerteten. Die Kelag rechtfertigte sich mit dem Verweis auf eine bosnische Firma, die das Monitoring der Umweltmaßnahmen durchführte.

DIE FURCHE: Die Kelag weist die Anschuldigungen zurück und reagierte mit einer Klage auf Rufschädigung gegenüber der maßgeblichen Kritikerin im Kosovo.

Eichelmann: Ohne das Gespräch zu suchen, wurde die junge Frau, die diese Missstände im Kosovo aufzeigte, sofort geklagt. Man versucht, sie sofort mundtot zu machen. Eine Schweinerei. Das sind mittelalterliche Strategien. Ich habe die Kelag darauf angesprochen, die haben gemeint, die Frau habe über Facebook Unwahrheiten verbreitet. Stimmt nicht. Ich habe mit den Leuten im Kosovo geredet, im Ministerium, mit Vertretern aus der Politik, mit Betroffenen vor Ort. Die Kelag ist im Kosovo bekannt als jemand, der Staat im Staat ist – die richten sich das dort. Aktuell wurde ich informiert, dass die Kelag kurz vor der Wahl am 14. Februar versucht, eine Vereinbarung mit dem amtierenden Umweltminister zu treffen, dass alle drei Kraftwerke, um die es da geht, die volle Genehmigung kriegen. Das erinnert schwer an Trump. Kurz vor Ablauf der Administration versucht man noch, die Gelegenheit zu nutzen, man weiß ja nicht, was nachher kommt.

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