Brot, Wort - Lebenselixiere

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Vor 60 Jahren wurde das KZ Buchenwald befreit. Auch der Schriftsteller Fred Wander war unter den Geretteten: "Wir haben die Bibel in Stücke gerissen, sie verteilt und die Papierstücke wieder ausgetauscht."

Ich war immer ein Ausgeschlossener, ich gehörte nirgends dazu, bis heute fühle ich mich nirgends dazugehörig", bekennt der Schriftsteller, der - nach Jahren "ahasverischer Existenz", die Fred Wander durch viele Länder trieb - wieder dort lebt, wo er 1917 geboren wurde: in Wien. Diese Stadt wurde für den Sohn armer jüdischer Zuwanderer aus Czernowitz zur Lebensschule der frühen Jahre. In Wien war er schon als Kind mit Antisemitismus konfrontiert.

Schule der Schmähung

Mit eindringlicher Emphase - doch nie pathetisch - erzählt Fred Wander, dass er hier eine Gabe erworben hat, die ihm das Überleben in den Konzentrationslagern des Dritten Reichs ermöglichte: das Beobachten. Fred Wander: "Ich war dem Spott, den Schlägen der Kinder ausgesetzt, ich ertrug Schmähung und Verfluchung."

Der Abhärtung und dem Zwang, andere sofort einschätzen zu müssen, verdankt er auch sein Überleben. Auch die Liebe zu den Klassikern der russischen Literatur - allen voran Fjodor Dostojewskij - stärkte seine Beobachtungsfähigkeit. Sie ist auch die Quelle seines erzählerischen Talents, das schon früh gefördert wurde; da war sein Großvater, der ihm, ganz in der Tradition mündlicher jüdischer Überlieferung, die Geschichten aus Tausendundeiner Nacht auf Jiddisch erzählte. Die Tradition des mündlichen Erzählens pflegt Fred Wander in all seinen Romanen.

Im März 1938 erlebte der 21-Jährige, wie Hitler in Wien begeistert empfangen wurde. Noch am selben Tag beschloss er, die Stadt zu verlassen. Nur mit dem Notwendigsten ausgerüstet, ging er zum Westbahnhof und fuhr mit dem Zug ins Tiroler Nauders, von hier flüchtete er in die Schweiz.

Züge spielen im Leben Fred Wanders eine ambivalente Rolle, sie führten ihn in die Freiheit, aber auch ins Verderben. Als er aus dem von den Nationalsozialisten besetzten Frankreich wieder in die Schweiz wollte, scheiterte er.

Die Schweiz lieferte den Flüchtling 1941 an die Nationalsozialisten aus; von dort aus wurde er in Viehwaggons quer durch Europa bis nach Auschwitz deportiert. Seinen Vater Jakob, seine Mutter Berta sowie seine Schwester René musste Wander in Wien zurückgelassen, sie wurden ermordet, fielen Hitlers "Endlösung" zum Opfer.

Dreizehn Lager überlebt

Nur sein Bruder Otto konnte sich retten. Insgesamt 13 Lager hat Fred Wander überlebt, zum Schluss - unmittelbar vor der Befreiung durch die Amerikaner - war er Gefangener im kz Buchenwald. In seinem Buch "Der siebente Brunnen" schreibt er: "Das Gerücht ging von den Amerikanern, sie eröffneten eine zweite Front, aber wann kam endlich die zweite Front? Die Juden beteten in den Waschbaracken und beschworen den Ewigen, die Christen stimmten in das Gebet mit ein. Der Sommer würde kommen, die langen warmen Tage, viel Sonne und die zweite Front. Mendel Teichmann starb kurze Zeit nach Jossl. Er starb einen sinnlosen, unwürdigen Tod, lasst mich darüber schweigen. Vergessen sind seine Verse, seine Asche liegt über polnischen Wäldern verstreut."

Die Erinnerung daran hat Fred Wander seither nicht mehr losgelassen. In seinem Buch "Der siebente Brunnen" hat der Autor den Häftlingen ein literarisches Denkmal gesetzt. Fred Wander nützt seine Beobachtungsgabe, daraus wird die Kunst des Erzählens. Er berichtet über alle, Opfer wie Täter: Über die "Gestiefelten", die ss-Wachmänner. Über Juden, Kommunisten, "Bibelforscher", wie die Zeugen Jehovas genannt wurden, über Gläubige und Ungläubige.

Ein Buch mit vielen Religionsbezügen hat Fred Wander geschrieben. Das Eigentümliche ist Fred Wanders Konzentration auf die Gesichter der Opfer: "Wenigstens einige aus dem Heer der Anonymität entreißen, einige Namen aufrufen, einige Stimmen wiedererwecken, einige Gesichter aus der Erinnerung nachzeichnen." Das Böse, mit dem Fred Wander konfrontiert wird, verursacht bei ihm mehr Kopfschütteln als Hass. Auch wenn er die kz-Aufseher beschreibt, entsteht da nicht das Bild eines "inkarnierten Bösen", sondern eher das eine Durchschnittsdeutschen.

Lebenselixier Bibel

Einige Szenen sind im Buch nicht enthalten. Sie erzählt Wander im persönlichen Gespräch: In den Mauerschatten und Winkeln der Appellplätze und Baracken wurde neben Brot vor allem das Wort wichtig: In gesprochener, manchmal erzählter Form, aber auch als Gebet. Als gedrucktes Wort wurde es zum Lebenselixier für viele. An ein Erlebnis erinnert sich Wander bis heute: "Einer von uns hat am Misthaufen im Lager eine Bibel gefunden. Jeder wollte sie haben, wir haben sie in Stücke gerissen und haben sie verteilt und die Papierstücke wieder ausgetauscht. Es war das Alte Testament. Die Bibel hat in meinem Leben eine große Rolle gespielt. Ich will mit einem Wort von Imre Kertész antworten: Der Gottesgedanke ist mir nicht fremd, aber jede Art von Konfession.' Im Konzentrationslager, das habe ich beobachtet, war die Jesusgestalt der Gedanke an Jesus - eine Lichterscheinung. Ich gebe zu, dass ich sogar gebetet habe, zum ersten Mal in meinem Gebet kannte ich es, wie es dich stärken kann, wie es dir Mut geben kann."

Befreiung aus Buchenwald

Vor genau 60 Jahren wurde Fred Wander aus Buchenwald befreit. Obwohl er zu dieser Zeit mit hohem Fieber und Flecktyphus in einer Baracke zeitweise delirierte, erinnert er sich an die Befreiung noch genau: "Ein normaler Mensch kann sich nicht vorstellen, in welchem Zustand die über 100.000 Menschen des Lagers sich befanden. Man darf nicht vergessen, die Nazis propagierten die Vernichtung durch Arbeit. Wir waren von schwerer Arbeit total erschöpft. Viele haben die Befreiung gar nicht wahrgenommen. Es war eine seltsame Stimmung, die man schwer erklären kann. Wir haben schon Wochen vorher den Frontlärm gehört, der immer näher kam. Plötzlich sahen wir am Fuß des Ettersbergs amerikanische Panzer, für einige ein Grund zum Jubeln, andere haben dem schweigend zugesehen, sie waren so fertig, dass sie das nicht richtig wahrgenommen haben. Dann ist die ss abgezogen. Es war nicht so, wie es in der ddr geheißen hat, dass das so genannte illegale Lagerkommitee das Lager befreit hat; die waren da, gut vorbereitet, auf einmal in Uniformen und bewaffnet, aber tatsächlich haben die Amerikaner das Lager befreit."

Lebens- und Todesarten in den Konzentrationslagern. Fred Wander hat sie in seinen Büchern beschrieben. Keine Bußhaltung der Nachgeborenen, nur nachdenklich machen will er. Auch 60 Jahre nach seiner Befreiung.

Der Autor ist Religionsjournalist beim ORF-Fernsehen.

Der siebente Brunnen. Roman

Von Fred Wander. Wallstein Verlag, Göttingen 2005. 166 Seiten, geb., e 19,60

TIPP: Ein Abend für Fred Wander

Buchpräsentation und Lesung

Ort: Literaturhaus Wien

Dienstag, 26. April, 19 Uhr

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