Neue Regeln gegen das mobbing

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Trotz Mitarbeitergesprächen muss ein Arbeitgeber einem Mobbing-Opfer Schadenersatz zahlen. Laut dem OGH hat er seine Fürsorgepflicht verletzt. Arbeitsrechtsexperten bezeichnen das Urteil als Meilenstein.

Ihre eigenen Mitarbeiter haben den Respekt vor ihr verloren. Das erkennt sie an den abschätzigen Blicken im Flur. Sie isst alleine. Die Lieferanten huschen zur Tür herein und gleich wieder hinaus, ohne den gewohnten Kaffee zu trinken. Als Führungskraft in einem High-Tech-Unternehmen stand Magdalena Wigger (Name geändert) am Anfang einer großen Management-Karriere. Doch als sie sich den sexuellen Annäherungsversuchen ihres Vorgesetzten während einer Dienstreise widersetzte, änderte sich von einem Tag auf den nächsten ihre Stellung in der Firma. Ihre Entscheidungen wurden von nun an vom Chef persönlich revidiert, ihre Kolleginnen hörten auf mit ihr zu sprechen. Meetings wurden angesetzt, ohne sie dazu einzuladen. Nach etlichen Tiraden gibt sie dem Druck nach und unterschreibt ihre Kündigung. Wigger fällt in ein psychisches Tief. "Wäre mein Lebenspartner nicht gewesen, wäre ich gar nicht mehr außer Haus gegangen“, sagt die Mitdreißigerin. Auch nach der Kündigung hielten Angstzustände und Panik-attacken an.

Kurz vorm psychischen Zusammenbruch landet sie im Büro von Christa Kolodej. Die Wiener Mobbing-Expertin kennt solche Fälle zur Genüge. Sie hat die Erfahrung gemacht, dass sich "normale“ Meinungsverschiedenheiten und Konflikte, wie sie am Arbeitsplatz immer wieder auftauchen, relativ schnell klären lassen. "Bei Mobbing ist die Ausgangslage aber eine andere“, sagt Kolodej. Mobbing beschreibt laut der 47-Jährigen eine Konflikt-Eskalation am Arbeitsplatz, wo der Betroffene sys-tematisch feindseligen Angriffen ausgesetzt ist, die sich über einen längeren Zeitraum erstrecken und häufig auftreten. Um die Lösung des Konflikts geht es nicht, sondern darum "jemanden vom Arbeitsplatz auszugrenzen.“

Mobbing-Republik Österreich

Laut den Ergebnissen des Working Condition Survey lag die Mobbingrate 2010 in Österreich bei 7,2 Prozent und damit kräftig über dem Durchschnitt der Europäischen Union von 4,1 Prozent. Tendenz steigend. Mobbing verursacht Stress, Depressionen und Angstzustände. Laut österreichischer Arbeiterkammer (AK) kehren 44 Prozent der Betroffenen erst nach einem Monat oder noch später an den Arbeitsplatz zurück; drei Prozent gar nicht mehr. "Viele Betroffene haben Angst, erbrechen auf dem Weg zur Arbeit, beginnen sich zu Hause zu verkriechen“, sagt Kolodej.

Doch niemand wird als Mobbing-Opfer geboren. "Es kann jeden treffen.“ Vor allem seien es aber jene, die Konflikten aus dem Weg gehen, und sich viel gefallen lassen. Mobbing beginnt ganz unspektakulär und steigert sich immer weiter. Die Kollegen hören auf den Betroffenen zu grüßen, weihen ihn nicht in Neuerungen ein, weisen ihm keine Arbeit zu - die Liste lässt sich ewig fortführen. Schlussendlich tritt der Gemobbte aus dem Unternehmen aus.

Mobbing passiert nicht einfach, sondern ist vielmehr ein Zeichen von schlechter Unternehmensführung. "Mobbing ist ein Phänomen, das vor allem bei schlechtem Führungsstil und in Organisationsstrukturen auftaucht, bei denen sich etwa Arbeitsaufgaben überschneiden”, sagt Kolodej.

Vom Mitarbeiter zum "Verräter“

Doch nun steigt der gesetzliche Druck auf die Unternehmen und ihre Chefs: Ignoriert der Arbeitgeber Mobbing, macht er sich nämlich mitschuldig. In einem aktuellen Urteil des Obersten Gerichtshofs (OGH) wurde ein Arbeitgeber für das Mobbing gegen einen Mitarbeiter verantwortlich gemacht. Gegenstand des Verfahrens waren Schadenersatzansprüche, die ein als Portier und Hausarbeiter beschäftigter Mann gegen seinen ehemaligen Arbeitgeber - ein Rehabilitationszentrum - erhoben hatte. Der Kläger hatte eineinhalb Jahre lang massive Konflikte mit einigen Kollegen, weil er sich weigerte, während der Arbeitszeit Alkohol zu konsumieren. Die Mobbing-Handlungen reichten von regelmäßigen Beschimpfungen durch die Kollegen bis zu Manipulationen an seinem Computer. Schließlich informierte das Mobbing-Opfer seinen Chef via Mail über die Alkoholexzesse einiger Kollegen - woraufhin dieser alle Mitarbeiter auf das Alkoholverbot in der Firma hinwies und ein Mitarbeitergespräch führte. Als die Kollegen von dem Mail erfuhren, wurden die Angriffe noch heftiger. Der Mitarbeiter wurde unter anderem als "Kameraden-Sau“ und "Verräter“ beschimpft. Weitere Gespräche lösten den Konflikt nicht. Der Gemobbte sah sich gezwungen, in Krankenstand zu gehen und löste schließlich sein Dienstverhältnis auf. Im Verfahren stützte sich der Kläger auf die Verletzung der Fürsorgepflicht durch den Arbeitgeber. "Der Arbeitgeber blieb lang untätig, dadurch ist der Kläger psychisch erkrankt“, erklärt sein Anwalt Georg Siarlidis. Der Gemobbte klagte auf Schadenersatz, Fahrtkostenersatz für Arztfahrten, sowie Schmerzensgeld für die erlittene psychische Beeinträchtigung und bekam Recht, obwohl der Arbeitgeber Mitarbeitergespräche führte. Im Urteil des OGH heißt es: "Die Fürsorgepflicht verpflichtet den Arbeitgeber auch dazu, die notwendigen Maßnahmen gegen das Betriebsklima gröblich beeinträchtigende Mitarbeiter zu ergreifen, insbesondere, wenn deren Verhalten so weit geht, dass die Arbeitsbedingungen für andere Arbeitnehmer nahezu unzumutbar werden.“

Betroffene sind dankbar

Das Urteil sei ein Meilenstein, sagt Anwalt Siarlidis. Es habe klar gestellt, dass der Dienstgeber sofort aktiv werden muss. Seitdem der Fall öffentlich wurde, kämen immer mehr Mobbing-Opfer in die Grazer Kanzlei "Rath und Partner“. "Betroffene sind dankbar, dass dieses Thema mittlerweile ernster genommen wird. Dieses Urteil macht Mobbing nun auch zur Chefsache. Dadurch entsteht hoffentlich ein neues Bewusstsein für das Thema“, sagt Siarlidis. Ist es in Österreich nun Zeit für ein eigenes Anti-Mobbing-Gesetz? Laut dem Juristen Thomas Majoros nicht. Zusammen mit Kolodej zählt der Jurist zu den führenden Mobbing-Experten in Österreich. "Ich glaube nicht, dass ein solches Gesetz nötig ist, aber es kann zur Bewusstseinsbildung beitragen“, sagt Majoros und fügt hinzu: "Sinnvoll wäre höchstens ein Gesetz im Rechtsfolgenbereich, um konkrete Sanktionen gegen Mobber und Arbeitgeber zu ermöglichen.“ Er empfiehlt Betroffenen ein genaues Mobbing-Tagebuch zu führen, um gegebenenfalls Beweise für eine Klage bereitzustellen.

Frau Wigger will weder klagen noch über die alten Geschichten sprechen. "Ich fühle mich in einer gewissen Art missbraucht“, sagt sie. Sie hat mittlerweile wieder einen Arbeitsplatz gefunden. Doch eine Karriere als Managerin - darauf verzichtet sie. Was wohl ihr ehemaliger Vorgesetzter mache? Der ist wohl noch da, wo er vorher war, meint sie: Im Chefsessel.

Mobbing

Belästigung und andere unerwünschte Verhaltensweisen am Arbeitsplatz. Von Thomas Majoros. ÖGB Verlag 2010, 265 S. kart., e 34,80

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