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Digital In Arbeit

Nervenkrieg am Arbeitsplatz

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Ein Phänomen hat Karriere gemacht, Mobbing, das systematische Fertigmachen von Kollegen.

Begonnen hatte es sehr verheißungsvoll: Der junge, talentierte Informatiker Fred hat seinen Traumjob gefunden, eine aufstrebende Computerfirma. Die Geschäftsführung bot überdurchschnittliches Gehalt und mehr Urlaub als die Konkurrenz. Sie verlangte aber auch mehr Engagement, Schnelligkeit und Flexibilität.

Wenige Monate nach Arbeitsantritt muß Fred seine kranke Mutter zu sich holen. Immer häufiger kommt er müde ins Büro, die Fehler bei der Arbeit häufen sich. Die Chefs haben ein Einsehen und versetzen ihn in die weniger stressige Kundenberatung. Auch die Kollegen zeigen Verständnis und übernehmen Mehrarbeit, um „den Neuen“ zu entlasten.

Irgendwann kommt aber wieder Hektik auf und eigentlich wird jede Arbeitskraft gebraucht. Die Geschäftsführer wollen Fred nicht überfordern und versuchen, die Kollegen zu weiteren Überstunden zu motivieren. Unmut macht sich breit, der sich zunehmend gegen Fred richtet. Immer wieder kommt das Argument: „Wir leben zu Hause auch nicht im Paradies. Wir nehmen gerne Rücksicht, aber das nimmt ja kein Ende!"

Einige Mitarbeiter gönnen sich jetzt „zum Ausgleich“ längere Pausen, auf der Toilette finden sich böse Graffiti. Fred sieht sich allmählich in die Fxke gedrängt. Der Chef fragt immer häufiger nach dem Gesundheitszustand der Mutter. Zu Belegschaftsfeiern wird Fred längst nicht mehr eingeladen. Niemand interessiert sich mehr für den psychischen Druck, unter den er sich gesetzt fühlt.

ANGST VOR DER ARBEIT

Die Unsicherheit und die Angst wachsen, zumal Fred sich als gelernter Informatiker in der Kundenberatung nicht sicher fühlt. Er beginnt heimlich zu trinken, eines Tages eskaliert die Situation, als sich ein Kunde über seine Alkoholfahne beschwert. Eine Woche später liegt die fristlose Kündigung auf dem Tisch. Fred taucht nie wieder in der Firma auf

Ein Einzelfall? Keineswegs. Das ist vielmehr ein Fallbeispiel aus dem Buch „Mobbing: Kleinkrieg am Arbeitsplatz“ des Arbeits- und Organisationspsychologen Henry W^ter

(Campus Verlag, 1993, 168 S., öS 311,-). Es behandelt ein Phänomen, das nicht neu ist, aber in den letzten Monaten besonders in Deutschland regelrecht Karriere gemacht hat. Bücher verkaufen sich blendend, Mobbing-Berater sind ausgebucht, Telefon-Dienste für Mobbing-Opfer laufen heiß, in einem deutschen Waldsanatorium kümmert man sich bereits um die Opfer der täglichen Schlachten am Arbeitsplatz.

Schwedische Forscher — in diesem Land hat die Arbeitspsychologie Tradition ~ griffen schon vor Jahren

Opfer und Täter weisen keine außergewöhnlichen Charakterdefizite auf. Es kann jeden überall treffen.

das Thema auf. Sie haben herausgefunden, daß in Schweden mindestens jeder vierte Arbeitnehmer – unabhängig von der Hierarchie – bereits einmal Mobbing-Opfer geworden ist. Nicht nur k eine Mitarbeiter, sondern auch die Vorgesetzten und großen Bosse werden ge-mobt. Dafiir auch noch ein Beispiel aus dem eingangs erwähnten Buch:

AUCH BOSSE WERDEN GEMOBT

Heike, eine 38jährige Chefsekretärin, hat schon seit langem unter den Schikanen ihres Chefs zu leiden. Eines Tages sagt sie ihm, er solle endlich aufhören, es an ihr auszulassen, wenn er sich über die anderen Mitarbeiter ärgere. Da bekennt ihr Chef zu ihrem größten Erstaunen: Er fühle sich als Opfer einer Verfolgung. Die anderen würden ihn an die Wand drücken und sich über ihn lustig machen. Er hätte das Gefühl, sie spiele da mit.

Nicht jeder Kleinkrieg in einem Unternehmen ist natürlich gleich Mobbing. Mobbing nennt man es, wenn ein Mitarbeiter durch Kollegen oder Vorgesetzte systematisch fertiggemacht wird. Das Wort kommt aus dem Englischen und „mob“ meint die Meute, die sich zu-sanunenrottet, um einen anderen zu jagen. Das heißt: wenn jemand nach dem Eindruck der Gruppe versagt hat, dann „rächen“ sich die anderen. Sie agieren an ihm vorbei, stellen ihn in ein Eck. Dazu gehören grobe Schikanen wie systematischer Informationsentzug, Ignorieren, Gehässigkeiten, Anbrüllen, Rufmord, sich lustig machen über persönliche Eigenschaften. Die Sticheleien steigern sich im Lauf der Zeit zu offener Aggression.

Den Angriffen kann der Betroffene meist nicht viel entgegensetzen. Er steht unter permanentem Druck, ist gereizt. Es folgt der physische oder psychische Zusammenbruch.

MOBBING BREITET SICH AUS

Gibt es spezifische Bedingungen für das Ausbrechen eines solchen „Krieges“ am Arbeitsplatz? Heinz Ley-mann, Psychologe an der Stockholmer Universität, hat herausgefunden, daß Mobbing-Opfer nicht von vornherein schwach oder gruppenunfähig waren. Auch weisen weder Opfern noch Täter außergewöhnliche Charakterdefizite auf Im Gegenteil: Es kann jedem Betrieb in jeder Branche passieren, daß gemobt wird. Das mörderische Spiel beginnt, indem etwas Unangenehmes in der Luft hängt, sich aufschaukelt und in Wut und Aggression entlädt. Die Kollegenschaft gleicht plötzlich einem Wolfsrudel. Das Verhalten der Meute steht dabei in keinem Verhältnis zum Anlaß.

In Deutschland ist das offenbar nicht anders als in Schweden. Udo Möckel, Konfliktberater beim Kirchlichen Dienst in der Arbeitswelt (KDA) der Evangehschen Kriche in Hamburg, meint, die Ausbreitung von Mobbing sei gar nicht verwunderlich: Die Umgangsformen in den Betrieben (natürlich auch durch den zunehmenden Konkurrenzkampf) würden rauher, die Kollegen rücksichtsloser. Es gebe keine ethischen Grundsätze mehr: Man habe verlernt zu dienen, kaum jemand will sich über das Soll hinaus engagieren. Und die anderen schauen lieber weg als einzugreifen.

Autor Henry Walter schätzt, daß die wirtschaftlichen Schäden, die durch Mobbing entstehen, die Unternehmen jährlich Millionen kosten. Die Fehlzeiten steigen, die Motivation sinkt, die Arbeitsabläufe werden nachhaltig gestört. Das schwächt die Leistungs- und Konkurrenzfähigkeit der Unternehmen empfindlich.

Und Österreich? Sind wir noch eine Insel der Gemüthchkeit? Raunzt und intrigiert man lieber und flüchtet dann zum Heurigen? Es wird woHl nicht dabei bleiben. Denn auch bei uns beginnt man sich jetzt intensiver mit dem Thema zu beschäftigen: Es gibt zwar erst eine einzige Mobbing-Studie, erstellt an der Wiener Wirtschaftsuniversität. Aber sie zeigte, daß allein in einem einzigen mittelständischen Unternehmen rund 20 Prozent der Belegschaft angaben, zumindest einmal im Leben gemobt worden zu sein. Vergangene Woche diskutierten auch der Österreichische Gewerkschaftsbund und „Psycho-Papst“ Erwin Ringel in der Steiermark über die gesundheitlichen Auswirkungen des „Psychoterrors am Arbeitsplatz“. Und das Klagenfurter Institut für Arbeitsmedizin und Arbeitspsychologie arbeitet bereits an der größten Studie im deutschsprachigen Raum zum Thema. Flächendeckend werden öffentliche und private Unternehmen auf „Mobbing“ hin über-

Srüft. Mit ersten Ergebnissen will er ärztliche Leiter, Erich Tram-pitsch, im Herbst aufwarten.

KEIN FALL FÜR FACHLEUTE

Auch wenn sich bisher nur Psychologen, Mediziner und Betriebswissenschaftler mit Mobbing befassen – es wäre ein Irrtum zu glauben, das genügt. Genauso wie es falsch wäre zu meinen, die Sache betreffe nur Betriebe. Aggressives Verhalten und Versuche, unliebsame Konkurrenten oder schwierige Zeitgenossen ins Eck zu stellen oder unterzukriegen, gibt es nicht nur in der Arbeitswelt. Vergleichbares Verhalten kann man jederzeit auch sonstwo beobachten: im Strcißenverkehr bis hin zu den Schulklassen.

Werden wir von einer „hochzivilisierten Gesellschaft“ wieder zu einem Ensemble von Wolfsrudeln? Brechen in die Dressur vom „Seid doch nett zueinander!“ wieder Aggression und Egoismus durch? Fairneß, ein Fremdwort? Die Frage müßten sich alle stellen: Eltern, Lehrer, Pohtiker, Geistliche und ganz besonders natürhch die Me-dienmanager.

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