Pilger für den inneren und äußeren Frieden

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Wie aus dem Vietnamkriegsveteranen Claude Thomas der buddhistische Mönch AnShin AnGyo wurde, der sich nicht nur als Pilger dem Frieden und der Gewaltlosigkeitkeit verschrieben hat.

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Wie aus dem Vietnamkriegsveteranen Claude Thomas der buddhistische Mönch AnShin AnGyo wurde, der sich nicht nur als Pilger dem Frieden und der Gewaltlosigkeitkeit verschrieben hat.

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In Deutschland erregte der zweimonatige Pilgermarsch, den der Zenpriester Claude AnShin Thomas diesen Sommer von Berlin nach Trier durchführte, ein breites Medienecho. Nicht allein nur der Umstand, daß die Gruppe zu Fuß jeden Tag 20 bis 40 km zurücklegte, ihre Nahrung unterwegs erbettelte und dort übernachtete, wo ihr Obdach geboten wurde, erregte Erstaunen.

Das Besondere an der Pilgerfahrt war der Besuch von mahnenden Stätten der NS-Vergangenheit. So begann die Wanderung in Berlin mit einem "Achtsamkeitstag" in jenem Haus, in dem am 20. Jänner 1942 die Wannsee-Konferenz stattgefunden hatte. Damals wurde die Massenvernichtung von Millionen europäischer Juden beschlossen. Heuer wurde dort gemeinsam meditiert und über die Täter gesprochen.

Am nächsten Tag machte die Gruppe an jenem Gleis im Bahnhof Grunewald Station, von dem aus die Berliner Juden nach Theresienstadt und Auschwitz deportiert wurden. Ein Bericht wurde verlesen, aus dem hervorging, daß die Anrainer über die Vorgänge unterrichtet waren: Sie konnten die endlosen Reihen der Frauen und Kinder beobachten, die in die Güterwagons geschoben wurden. Doch hinterher hatte keiner etwas gewußt ... Heute sind dort im Boden Inschriften mit der Anzahl der pro Tag Deportierten eingraviert. Auch hier meditierte die Pilgergruppe und erinnerte an die Toten.

Als nächstes wurde das ehemalige Konzentrationslager Sachsenhausen besucht. Auf dem freien Platz vor dem Galgen versammelten sich die Pilger trotz Wind und Regen, während sie abwechselnd die Namen der hier Ermordeten verlasen. So ging es weiter, von KZ zu KZ quer durch Deutschland: für die Teilnehmer nicht nur eine alptraumartige Konfrontation mit den Greueltaten der Vergangenheit, sondern auch eine Begegnung mit dem Leid in ihrem Inneren. Claude AnShin geht es bei einem Pilgerweg wie diesem nicht darum, in besonderer Weise auf die NS-Verbrechen aufmerksam zu machen, sondern auf das Leiden, das durch Krieg entsteht, und das zu Krieg führt. Er will das Bewußtsein dafür wecken, daß die Menschen in Europa immer noch persönlich unter den Folgen des Krieges leiden und dies auch immer wieder - bewußt oder unbewußt - manifestieren.

Der Kreislauf der Gewalt könne nur durchbrochen werden, so Claude AnShin, wenn die Menschen die Aggression in ihrem Inneren heilen. Dabei sollte der Marsch unter dem Motto "Schritte der Heilung" helfen. Durch die Meditationen und Rituale, das Sprechen über Opfer und Täter, das Hineingeworfensein ins Unbekannte und die Abhängigkeit von der Barmherzigkeit anderer Menschen erführen die Teilnehmer, wie alte Ängste aufbrechen und in der Gruppe überwunden werden. Aber auch Menschen, die mit den Pilgern in Kontakt treten, würden an vergangene Traumen erinnert.

So war in der evangelischen Diakonie in Bad Kreuznach - wo die Pilger übernachteten - nie zuvor darüber gesprochen worden, daß die Organisation während der NS-Zeit geistig Behinderte zu einer Euthanasie-Klinik gebracht hatte, obwohl viele der Mitarbeiter darum wußten. Claude AnShin bietet das Gespräch darüber an, damit sich nicht der Kreislauf des Leidens wiederholt: Für die Angehörigen der Kriegsgeneration ist es immer noch sehr schwer, über ihr Schweigen zu sprechen. Für ihre Kinder ist es bereits leichter. Doch sie müssen sich mit den Haltungen und Taten ihrer Väter und Mütter auseinandersetzen und eigene geschönte Sichtweisen aufgeben.

Der Grund, warum sich Claude Thomas so intensiv mit Krieg und Kriegstrauma, mit zwischen- und innermenschlicher Gewalt beschäftigt, liegt in seiner eigenen Biographie: Der 1947 geborene Amerikaner trat nach dem Schulabschluß der Armee bei und meldete sich freiwillig zum Vietnam-Krieg, in dem er mehrfach verwundet wurde. 1968 wurde er ehrenvoll entlassen. Alle seine Versuche, zu einer bürgerlichen Existenz zurückzufinden, scheiterten jedoch. Ein Schlüsselerlebnis war für ihn, als er auf der Straße als Vietnamveteran von einer Friedensaktivistin angespuckt wurde. Er verbrachte zwei Jahre obdachlos und alkoholabhängig auf der Straße. Auch eine Ausbildung zum Englischlehrer und eine Karriere als Musiker brachten keine Ruhe für ihn. Seine Ehe zerbrach.

Sozialer Buddhismus 1991 lernte er den vietnamesischen Zenmeister Thich Nhat Hanh kennen, der in seiner Heimat auf die Versöhnung der Kriegsparteien hingearbeitet hatte, aber ins Exil nach Frankreich gehen mußte. In seinem Kloster Plum Village in Südfrankreich lebte und meditierte Claude Thomas drei Jahre lang. 1994 nahm er an einem internationalen Friedensmarsch teil, der in Auschwitz begann und in Hiroshima endete. Ein Jahr später wurde Claude Thomas vom amerikanischen Zenmeister Bernard Tetsugen Glassman Roshi zum Zenpriester mit Namen "AnShin AnGyo" ernannt.

Glassman hatte in New York verschiedene Hilfsprojekte ins Leben gerufen, in denen sozial Schwache, Obdachlose, Arbeitslose und Alleinerziehende Unterkunft und Arbeit fanden. Hier lernte Claude AnShin, benachteiligten Menschen zu dienen. Gerade aufgrund seiner eigenen Erfahrungen als alkoholabhängiger Obdachloser konnte er mit dem Leiden dieser Menschen mitfühlen. Nach buddhistischem Verständnis ist die spirituelle Praxis unmittelbar mit dem Dienst für andere Menschen verbunden. Gemeinsam mit seinem Lehrer Bernard Glassman gründete er den "Zen Peacemaker Order", eine internationale Gemeinschaft, die sich als interreligiöses Netzwerk von Friedensaktivisten versteht.

Angeregt von seinem Lehrer führte Claude AnShin in Berlin und Zürich sogenannte Straßen-Retreats durch, bei denen er und die Teilnehmer eine Woche lang auf der Straße lebten, ohne Geld, Wohnung und Essen, nur mit den Kleidern am Leib und einem Ausweis versehen. Morgens und abends wurde gemeinsam meditiert. Wegen der nächtlichen Kälte bat die Gruppe in verschiedenen Geschäften um Decken - und wurden abgewiesen. Die spirituelle Übung bestand darin, mit einer demütigen Verbeugung für das Nein zu danken. Denn durch das Nein konnten die Übenden eigene Vorstellungen und Anhaftungen überwinden: Für Claude AnShin ist es wichtig, daß die Menschen begreifen, daß sie von Obdachlosen oder "Asozialen" nicht getrennt sind.

Jeder: Täter und Opfer Denn nach buddhistischer Überzeugung ist das Individuum nicht von seiner Außenwelt separiert. Lediglich durch Gier und Egoismus bleibt der Mensch in der Vorstellung des Getrenntseins verhaftet. Jeder soll akzeptieren, daß er Teil des Ganzen ist und mit allem verbunden ist. Jeder, so Claude AnShin, ist Gewalttäter und Opfer zugleich: Hier klingt die Lehre seines Mentors Thich Nhat Hanh durch, der seinen Orden "Inter-Being" nannte, um die Verbundenheit ins Bewußtsein der Menschen zu rücken. Claude AnShin fordert die Menschen dazu auf, zu begreifen, daß Gewalt niemals eine Lösung ist. Denn Gewalt erzeuge nur wieder Gewalt: "Wenn wir wollen, daß die Dinge sich ändern, dann müssen wir uns anders verhalten." Ein Straßen-Retreat oder ein Friedensmarsch ermögliche den Teilnehmern, eigene Schuldhaftigkeit einzugestehen und darüber zu sprechen sowie Mitgefühl und Verständnis für Täter zu entwickeln.

Der Verlauf seiner Projekte ist immer ungewiß. Die Lehre besteht für Claude AnShin darin, das Unbekannte zu umarmen. Jeder Moment bringt etwas Neues. Die Achtsamkeit auf das, was sich im augenblicklichen Moment abspielt, ist Basis buddhistischer Lehre und Praxis. Die drei Ziele des "Zen Peacemaker Order" knüpfen daran an: fixe Ideen über das eigene Selbst und das Universum aufzugeben und ins Unbekannte einzutauchen, für die Freuden und Leiden der Welt Zeugnis abzulegen sowie sich selbst und andere zu heilen.

Als Rahmen seiner Arbeit hat Claude AnShin die "Zaltho Foundation" gegründet, die Frieden und Gewaltlosigkeit fördern will. Als nächste Projekte sind ein Straßen-Retreat in Rom sowie ein Friedensmarsch durch das ehemalige Jugoslawien geplant. Denn Claude AnShin hat den Rest seines Lebens einem Gelübde verschrieben: "Alles Leiden und alle Kriege in meinem Leben zu beenden und anderen zu dienen".

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