Vom Geschenk der Zeit

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Zeit ist heute das, was man nie hat. Galt früheren Epochen Zeitlosigkeit als Inbegriff der Ewigkeit und Seligkeit, so ist die Zeitlosigkeit unserer Tage das genaue Genteil von Transzendenz, nämlich die schlechte Unendlichkeit einer permanenten Zeitknappheit.

Zeit ist heutzutage knapp - wie Geld, denn Zeit ist Geld. Die Konvertierbarkeit von Zeit und Geld führt freilich zur Vergleichgültigung der Zeit wie der in ihr existierenden Gegenstände und Werte. Ist alles gleich gültig, so wird es eben auch gleichgültig. Langeweile, Zynismus und Hoffnungslosigkeit sind neben der Unrast die Folgen moderner Zeitlosigkeit.

Das moderne Verhältnis zur Zeit beruht auf dem Verlust der Transzendenz. Nicht der Glaube an das ewige Leben, wie die neuzeitliche Religionskritik behauptet, sondern gerade sein Verlust betrügt uns um unsere Lebenszeit. Weil nämlich nun das Leben im platten Diesseits die letzte Gelegenheit ist, gilt es, stets auf der Höhe der Zeit zu bleiben und das Letzte herauszuholen, beruflich wie privat. Hinter dem Luststreben der Spaßgesellschaft lauert die Angst vor dem Tod, den man möglichst lange hinausschieben und verdrängen möchte. Die knappe Zeit ist Gegenstand beständiger Sorge und der Furcht, Wichtiges zu versäumen.

Die tödlichen Gefahren einer Kultur der Todesverdrängung stehen uns heute vor Augen. Aber darum ist noch nicht ausgemacht, dass in der Forderung nach der Annahme unserer Endlichkeit und Sterblichkeit schon die Rettung besteht. Was den Bann der Zeitlosigkeit möglicherweise brechen kann, ist nicht die resignative Einübung ins Sterben, sondern die Zusage einer Fülle der Zeiten, die unser irdisches Leben umfängt. Biblische Zeitansage ist Zeitzusage, Zuspruch von Zeit, die uns gewährt wird. Alles hat seine Zeit und so auch wir, weil Gott sie uns schenkt und zumisst. Erfüllte Momente sind keine Leistung, sondern Geschenk; ein Stück Transzendenz im Diesseits.

Ulrich H. J. Körtner ist Professor für Systematische Theologie H.B. an der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien.

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