Ahmad Milad Karimi - © commons.wikimedia.org

Wie in der Gegenwart islamisch denken

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Häufig meinen christliche Theologen, im Islam wäre Gott "Buch geworden" - analog zu Gott, der in Jesus Christus Mensch wurde. Ahmad Milad Karimi zeigt, dass dies nicht stimmt.<br /> &nbsp;

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Häufig meinen christliche Theologen, im Islam wäre Gott "Buch geworden" - analog zu Gott, der in Jesus Christus Mensch wurde. Ahmad Milad Karimi zeigt, dass dies nicht stimmt.<br /> &nbsp;

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Es irrt, wer meint, amerikanische Fernsehserien haben nichts mit Religion oder Gott zu tun. Den Nachweis tritt justament ein junger islamischer Philosoph an: Ahmad Milad Karimi, seit 2016 Professor für islamische Philosophie (Kalam) an der Universität Münster. Zitate europäischer Philosophen -Hegel, Nietzsche, Benjamin, Heidegger usw. schüttelt er genauso leicht sozusagen aus dem Handgelenk wie solche aus dem Koran und der klassischen islamischen Philosophie und Mystik.

Der 39-Jährige mit dem Wuschelkopf gilt als der "umtriebigste Religionsphilosoph Deutschlands" (qantara.de). Etwa besetzt er mit seinem Kinderbuchverlag die Leerstelle religiöser Kinderbücher für Kinder muslimischer Familien, oder gibt die Literaturzeitschrift Kalliope heraus. 2016 hat er für seine theologischen Arbeiten den Rumi-Preis der deutschen Stiftung für islamische Studien bekommen -eine weitere Facette.

Tiefgründig wie unterhaltsam

Karimis neues Buch "Warum es Gott nicht gibt und er doch ist" bietet überraschende und tiefgründige Antworten zum Thema Religion -und ist zugleich doch unterhaltsam. Immer wieder gelingt es Karimi, mit Beispielen aus bekannten Fernsehserien zu verblüffen. So dient eine Episode aus der Mafia-Serie "Gomorrha" als Beispiel für die Ambivalenz von Religionen. Der Mafia-Boss zeigt sich fromm, betet häufig und schmückt sein Haus mit Madonnen-Statuen aus Südamerika. Doch die haben doppelten Boden: sie dienen als Behälter für den Import von Kokainpäckchen. Man würde wegen solcher Möglichkeiten doch nicht die Marienverehrung verbieten, konstatiert Karimi. Ebensowenig könne man wegen des islamistischen Terrorismus den Islam als Ganzes auf eine Religion der Gewalt reduzieren.

Karimi weiß, wovon er spricht. 1979 in Afghanistan geboren, kam er 1992 mit seiner Familie als Flüchtling nach Deutschland, auf der Flucht vor Bürgerkrieg und beginnendem religiösen Fanatismus. Ab 2000 studierte er islamische Theologie zunächst in Freiburg, dann an der Delhi University. Geprägt hat ihn die islamische Mystik, der Sufismus. Bis heute ist diese spirituelle Richtung bestimmend für Alltag und Selbstverständnis der meisten Muslime in Süd-und Südostasien.

Die häufig vertretene Ansicht, dass es nur einen einzigen authentischen Islam gäbe, nämlich den der Wahhabiten in Saudi-Arabien, bezeichnet Karimi als "Übergriff auf die Religion aus politischen und ökonomischen Interessen". Hier wird der Islam für eine politische Ideologie instrumentalisiert. Was überbleibt, ist ein Islam nur der Form nach, also eine Ideologie. Doch dies ist gerade nicht Islam, sagt Karimi.

Denn wer sich als "inkarnierter Willensvollzieher Gottes" versteht, leugnet Gott. Er macht Gott zum "Supergötzen" und setzt zugleich sich selbst an die Stelle Gottes. Dies gibt es freilich in allen Religionen, nicht nur im Islam. Karimi nennt solche Personen mit Nietzsche die "Truthähne Gottes". Es ist eben ein feiner, aber entscheidender Unterschied, ob man sich selbst mit Gott verwechselt oder ob man mit Hingabe (das ist die wörtliche Bedeutung von Islam) der Frage nach Gott folgt, die aus der Tiefe der eigenen Existenz entsteht, meint Karimi.

Überraschenderweise lässt sich diese Frage etwa an den Charakteren von "Homeland", einer US-Serie zum Thema Terrorismus illustrieren. Eindrucksvoll ist auch der theologische Gebrauch, den Karimi von "Games of Thrones" macht. Die Serie zeigt eine Welt der vielen Götter und Beliebigkeiten, "in der alles erlaubt und alles möglich ist -und die gerade deswegen der Hölle gleicht". Was fehlt, ist Gott.

Koran hören ist Beziehung

Als Muslim betont Karimi, dass Gott mit der Welt inkommensurabel ist -doch ohne Gott ist die Welt unerträglich. Dabei liegt dem Islam nichts ferner, als Religion als etwas Nützliches und Gott als "Supernotrufzentrale" zu betrachten, so Karimi. Dies zeigt bereits der Titel des Buches: "Warum es Gott nicht gibt und er doch ist". Der Titel ist eine Paraphrase auf den ersten Teil der Schahada, des islamischen Glaubensbekenntnisses: "Es gibt keinen Gott außer Gott." Zugleich kann ein philosophisch geschultes Ohr darin aber auch die Kritik an der Vergegenständlichung Gottes in der europäischen Philosophie und Theologie hören - Heidegger sprach in diesem Zusammenhang von "Ontotheologie".

Für den Islam ist die Differenz zwischen Gott und der geschaffenen Welt konstitutiv, betont Karimi. Und das hat Folgen für das Verständnis von Offenbarung. Häufig meinen christliche Theologen, im Islam wäre Gott "Buch geworden" - analog zu Gott, der in Jesus Christus Mensch wurde. Doch Karimi zeigt, dass dies nicht stimmt. Wer jemals einer Koranrezitation beiwohnen durfte, weiß von der Hingabe und der inneren Bewegung der Hörenden. Denn Koran hören ist Beziehung -Beziehung zwischen Gott und dem Menschen, ein Geschehen, das nicht innerweltlich festgeschrieben werden kann. Dies hat Karimi in seiner poetischen Koranübersetzung (2009) versucht, auf Deutsch nachvollziehbar zu machen.

Mit seinen theologischen und philosophischen Projekten geht es ihm um Kulturvermittlung und interreligiösen Dialog. Doch wichtiger ist ihm die Suche eines Weges aus der gegenwärtigen Krise des Islam. Die Tradition des Islam muss bewahrt bleiben -und doch, "die Zeiten haben sich geändert", zitiert Karimi aus dem "Paten", der berühmten Mafia-Trilogie. Eine religiöse Tradition kann man nicht "ins Kühlfach geben" und das Nachdenken darüber verbieten, wie dies die fundamentalistischen Strömungen aller Couleur tun.

Die Frage "Warum glaube ich an Gott?" muss immer wieder von neuem gestellt werden, und die Antworten müssen der jeweiligen Gegenwart entsprechen. Das heißt auch, sich als Muslim in einer pluralen Gesellschaft politisch für Zusammenhalt und Frieden zu engagieren. Das mag überraschen, doch der Philosoph und Theologe Ahmad Milad Karimi hat keine Mühe, dies aus der islamischen Tradition zu belegen. Das macht das Buch so besonders -es bietet eine facettenreiche Einführung ins islamische Denken (Kalam) und ist zugleich eine intensive Auseinandersetzung mit Fragen der Gegenwart.

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