Erstochener Schmerz

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Die Geburt eines Kindes ist eine Grenzerfahrung. Um die Wehen zu lindern, wenden viele Hebammen und Ärzte alternative Behandlungsmethoden wie die Akupunktur an - und machen sich damit nicht nur Freunde.

Acht Hochschwangere, die Augen geschlossen, liegen auf Turnmatten im Physiotherapieraum des Krankenhauses. In ihre Ohren schmeicheln sich beruhigende Synthesizerklänge - und die sanfte Stimme der Hebamme. "Wir zählen langsam bis drei und gelangen auf eine wunderschöne grüne Wiese."

Was Außenstehenden ein wenig abgehoben erscheinen mag, ist in der Geburtsvorbereitung der neueste Trend: Tiefenentspannen mit hypnotischen Methoden. "Es geht darum, innere Ängste abzubauen und den so genannten safe place', den Platz der Sicherheit, zu finden", erklärt Josi Hahn, Leiterin des Mütterstudios in Hainburg an der Donau. In ihrem Kurs stimmt sie die Frauen auf die bevorstehende Entbindung ein.

Karin Sattler ist eine der Schwangeren. Sie turnt mit gymnastischen Übungen ihr Becken geschmeidiger, probiert Gebärhaltungen durch, trainiert Atemtechniken, die ihr zu Entspannung verhelfen, lernt die Kniffe der Babypflege und des Stillens kennen. Hebamme Josi rät ihr außerdem zur täglichen Damm-Massage. "Alles, was den Geburtskanal weicher macht, hat einen schmerzlindernden und beschleunigenden Effekt." Wie auch Pulsatilla, Caulophyllum und Co., jene homöopathischen Arzneien, die Karin auf Josis Empfehlung hin schluckt.

Chinesische Weisheit

Fünf Wochen vor dem errechneten Geburtstermin ist es so weit. Doktor Urban packt seine Akupunktur-Nadeln aus. Zartes Orangen-Vanille-Aroma entströmt der Duftlampe und erfüllt den heimeligen Raum im Mütterstudio. Karin weiß, dass es jetzt ein wenig pieken wird. Doch gleich ist das Stechen vorüber und sie kann während der halben Stunde, in der die Nadeln in der Haut verbleiben, der leisen Sphärenmusik lauschen.

Die Akupunktur ist eine Regulationstherapie aus der traditionellen chinesischen Medizin, kurz TCM, liest Karin in einem Info-Blatt. Sie wirkt gegen Störungen des Energieflusses im Körper, kann aber "Zerstörungen", wie etwa ein verletztes Organ, nicht beheben. Von entscheidender Bedeutung ist das therapeutische Gespräch. "Es gibt keine 08/15-Punkte, die für jede Frau gelten", sagt Gerhard Urban, Oberarzt an der Abteilung für Geburtshilfe im Krankenhaus Hainburg. "Befindlichkeitsstörungen wie Übelkeit oder Sodbrennen können individuell mitbehandelt werden."

An den Außenseiten von Karin Sattlers kleinen Zehen steckt je eine Nadel. "Das sind wichtige Punkte für die Geburtserleichterung", erläutert der Akupunkteur. "An ihnen entspringt der Blasenmeridian." Meridian. Klingt nach Geografie. Zumindest für naturwissenschaftlich geprägte Mitteleuropäer. Die Meridiane der fernöstlichen Lehre sind anatomisch nicht fassbar, sondern vielmehr gedachte Linien des Energieflusses, die wie ein unsichtbares Kanalnetz den Körper durchziehen. Ebenfalls je eine Nadel steckt oberhalb von Karins Innenknöcheln. Doktor Urban: "Hier kreuzen sich alle weiblichen Meridiane." Die Nadeln im Kniebereich sollen die Ausdauer der Patientin stärken.

Weshalb man erst in der 35. Schwangerschaftswoche mit der Akupunktur beginnt, will Karin wissen. "Das ist die Grenze der Lebensfähigkeit des Fötus", lautet die Antwort des Arztes. Obwohl ihm kein einziger Fall bekannt ist, bei dem die Akupunktur frühzeitig Wehen ausgelöst hätte.

Will er sich absichern? Urban verneint. "Studien an der Wiener Universitätsfrauenklinik haben gezeigt, dass sieben Sitzungen nicht wirkungsvoller sind als vier. Wenn wir von einer Schwangerschaftsdauer von 40 Wochen ausgehen und die Behandlungen in zirka einwöchigen Abständen stattfinden, haben wir im Idealfall fünf Akupunktur-Sitzungen." Fünf Mal stechen also. Was dreifach wirkt: Der Wehenschmerz ist weniger heftig, die Eröffnungsperiode verkürzt und die gesamte Geburtsdauer verringert.

Eingefleischte "Schulmediziner" äußeren freilich Zweifel an diesen Praktiken. Wenn auch nur hinter vorgehaltener Hand. "Man kann sich den Wünschen der Patientinnen nicht verschließen", bemerkt etwa ein Chefarzt. Ferner ist von munter sprudelnden Geldquellen die Rede, weichen doch Hebammen auf Akupressur oder Akupunktmassage mit Softlasern aus. "Das ist eine gute Alternative für Frauen, die Angst vor Nadeln haben", sagt Josi Hahn.

Gerhard Urban billigt die Konkurrenz. "Für die Wirkung ist es letztlich egal, wie die Punkte aktiviert werden." Skeptisch äußert er sich hingegen zur Schmerzausschaltung durch Akupunktur während der Geburt. "Das ist kaum praktizierbar, denn die Nadeln müssen ständig durch Bewegung oder Stromdurchleitung stimuliert werden."

Trotz einigen Widerstandes von Seiten der Ärzteschaft startete das Allgemeine Öffentliche Krankenhaus Hainburg an der Donau im November 2002 ein bislang in Österreich einzigartiges Projekt. Traditionelle chinesische Ärzte unterwiesen heimische Mediziner in Akupunktur, in der Energiebehandlung Wai Qi und in der Massagetechnik Anmo.

Zum Bedauern von Wolfgang Palatinus, kaufmännischer Direktor des Krankenhauses, hat die Ärztekammer die Genehmigung für das heurige Frühjahr ausgesetzt. "Als Nicht-EU-Bürger dürfen chinesische Ärzte in Österreich zwar lehren, aber nicht behandeln", so Palatinus. Derzeit bemüht er sich um eine Kooperation mit dem Dungl-Zentrum in Gars am Kamp. "Wir hoffen, dass wir bald mit dem TCM-Programm weitermachen können. Das wäre für unsere Region sehr wichtig."

Synkope im Spitalstakt

Akupunktur zur Standortsicherung eines Krankenhauses? Für Patienten ist sie mehr als das: eine Synkope im gleichförmigen Spitalstakt, die der Ganzheit des Menschen gerecht wird. Für manche auch ein belebender Rhythmus, der die kittelweiße Weltordnung ins Wanken bringt... "Den Etablierten sind unsere Methoden seit jeher ein Dorn im Auge", sagt Hebamme Hahn und erinnert an Vorgängerinnen, die in früheren Jahrhunderten auf dem Scheiterhaufen endeten. Sie legt Baby Johannes an Karin Sattlers Brust. Nur knapp sieben Stunden hat die Geburt gedauert. Ein Ereignis, das Karin in vornehmlich freudiger Erinnerung bleiben wird. Für sie steht fest: Das bisschen Pieken hat sich gelohnt.

Die Autorin ist freie Publizistin.

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