An kaltem Fels zerschellt

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In Verdis "Luisa Miller" lässt der Klangbogen Wien abermals die heile Welt zerbersten.

Inmitten einer kalten, zerklüfteten Felsenlandschaft schweben eine dörfliche Idylle und ein fürstlicher Palast. Doch die sichere Ordnung des sozialen Gefüges gerät aus den Fugen; die bedrohliche Umgebung, in der menschliche Regungen brutal zerschellen, schiebt sich in Form von klobigen Felsen durch die zerberstenden Wände der heilen Welten, sogar von oben senkt sich ein schwerer Brocken herab, gleich den Exkrementen eines gleichgültigen Gottes.

Das Ende der Gemütlichkeit war schon in der vorigen Saison mit Jules Massenets "Werther" Thema beim Wiener Klangbogen. Heuer eröffnete das Musikfestival mit einer Oper, deren literarische Grundlage einen ähnlichen Geist wie Goethes "Leiden des jungen Werther" atmet: Giuseppe Verdis "Luisa Miller" nach Friedrich Schillers Sturm und Drang-Drama "Kabale und Liebe". Eine wohltuende Abwechslung, wird doch im Verdi-Jahr ansonsten meist auf Bewährtes gesetzt und nicht auf Verdi-Raritäten, unter denen sich einige zu entdeckende Kostbarkeiten befinden - wie eben "Luisa Miller".

Christine Mielitz, die zu den derzeit besten besten Regisseuren zählt, erzählt die Geschichte von der an der herrschenden Ordnung und im Zuge bösartiger Intrigen scheiternden Liebe zwischen dem einfachen Mädchen Luisa und dem Adeligen Rodolfo auf bestechend einfache und klare Weise. Weich und facettenreich lässt Bertrand de Billy das Radio Symphonieorchester Wien klingen und gestattet den Sängern viel Spielraum - ein weiser Entschluss, denn die Besetzung ist bis in die kleinsten Partien hervorragend. Das gilt übrigens auch für den Wiener Kammerchor.

Kwangchul Youn als Bösewicht Wurm beeindruckt mit seinem prächtigen lyrischen Bass, Alastair Miles als machthungriger Tyrann, der genau zuwissen glaubt, was das beste für seinen Sohn ist, zieht alle tiefen Register. Den Gegenpart gibt ein gefühlvoller Bruno Caproni als liebevoller Vater. Mit extremer Inbrunst, den Ausdruck über den Schöngesang stellend, gibt Walter Fraccaro den unglücklich liebenden Rodolfo, Verdis erste gelungene Tenorpartie, die mit der wunderschönen Arie Quando le sere al placido einen echten Schlager beinhaltet. Den meisten Jubel von allen Sängern erhielt Regina Schörg, die stimmlich wie darstellerisch sowohl die Unschuld vom Land als auch die tragische Geliebte glaubhaft auf die Bühne bringt. Lyrik und Tragik auf höchstem Niveau!

Bis auf die üblichen, daher nicht ernstzunehmenden Buhs für die Regie ein überwältigender Publikums-erfolg, zu dem sicher auch die Intimität des Theaters an der Wien beiträgt, die den Zuseher hautnah am Musiktheater teilhaben lässt.

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