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Die Räuber — nicht von Schiller

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Die Wiener Volksoper darf für sich buchen, die originellste Verdi-Ehrung im Jubiläumsjahr veranstaltet und eine hochinteressante Ausgrabung gemacht zu haben. Die für einen Londoner Impresario geschriebene und speziell für dessen Star, Jenny Lind, mit einer großen Frauenrolle ausgestattete Oper „/ Mas-nadieri“ des 34jährigen Verdi gehört zu dessen unbekanntesten und erregendsten Werken. Sie wurde in Wien noch nie, in Deutschland, soweit wir unterrichtet sind, nur 1928 in Wuppertal und 1935 in Hamburg aufgeführt. Sie steht als zweite m *der Reihe von vier Schiller-Opern des italienischen Meisters: zwischen „Giovanna d'Arco“ (1845) und „Luisa Miller“ (1849), der später noch „Don Carlos“ folgte. Dieser Griff nach Schillerschen Stücken ist kein Zufall: In dem jungen deutschen Stürmer und Dränger, der gegen das „tintenklecksende Säculum“, das „Kastratenjahrhundert“ und seine ungerechte Gesellschaftsordnung zu Felde zog, sah der junge Verdi, sahen die glühenden Anhänger des italienischen Risorgimento einen Vorläufer, einen Parteigänger. Unter diesem Aspekt muß man — für und wider! — die Verlegung des Schauplatzes der deutschen Fassung von Verdis Oper aus den böhmischen Wäldern nach Mittelitalien erwägen ...

Doch zwischen Schiller und Hans Hartleb, dem deutschen Bearbeiter, steht noch Andrea Majfei, Verdis Librettist. Diesem ging es um andere Dinge, und zwar ausschließlich um das Drama der menschlichen Konflikte und Leidenschaften — deren Träger bei Schiller nur Exponenten bestimmter weltanschaulicher Typen sind. Immerhin hat Maffei seinem Komponisten ein logisch aufgebautes, gut gegliedertes und, natürlich, handfestes Textbuch geliefert, das mit zunächst fast monologisch-ariosen Szenen beginnt und sich allmählich — ab dem fünften Bild — handlungsmäßig steigert: eine geradezu modern anmutende, musikdramatische Konzeption. Dieser entsprachen sowohl die Inszenierung Gustav Mankers, des „Räu-ber“-Spezialisten, als auch die einfachen, wirkungsvollen und dekorativen Bühnenbilder des Berner Max Rbthlisberger. Der Königsgedanke beider war eine gewaltige, steil gegen den Hintergrund aufsteigende düstere Treppe, die der tragischen Aktion einen imposanten, fast antikischen Rahmen gab und sowohl bildhafte Postierungen wie große Bewegungen des ausschließlich aus Männern bestehenden Chores ermöglichte. Besonders zwei Bilder, das vor der Gruft des Grafen Maximilian (hier Massimiliano) und der Gang im Schloß mit den riesigen umgestürzten und zerschlagenen Säulen (Symbole der gestörten Ordnung), gehörten in ihrer Kargheit zu den schönsten und eindrucksvollsten Dekors, die wir seit langem auf einer Wiener Opernbühne gesehen haben.

Die Musik Verdis, mit ihren vielen Arien, Duetten und großen Chorszenen, hat bereits den Feueratem des großen Dramatikers. Zwar fehlen in den acht wohlproportionierten Szenen (nur die letzte ist zu lang geraten) die „Schlager“ — aber ist das nicht auch ein Vorteil? Wohl gibt es auch hier schon die hüpfenden und tänzelnden Rhythmen zu grausigsten Texten, jedoch sind die Melodien nicht so penetrant wie in den späteren vielbewunderten Meisterwerken Verdis. Dafür gibt es einige szenische Pikanterien, bildhafte Vorwegnahmen von Effekten aus einer viel späteren Zeit: Der alte Moor entsteigt im sechsten Bild einer Zisterne — wie Joehanaan —, und im darauffolgenden flieht der böse Francesco im Fackelschein vor seinen Verfolgern — wie Klytämnestra.

Ohne daß der Volksoper Spitzensänger zur Verfügung standen, hatte der musikalische Teil der Aufführung hohes Niveau, das vor allem Argeo Quadri am Pult zu danken ist, der sich auf die von Franz Gerstacker präzis einstudierten Chöre ebenso stützen konnte wie auf die Hauptdarsteller: Christiane Sorell (Amalia), Jean Cox (Carlo), Marcel Cordes (Francesco), Thomas O'Leary (Graf Massimiliano), Heribert Ronge (Arminio), Frederick Guthrie (Priester Mosca) und Wolfgang Zimmer (Rollo — alias Roller). Im ganzen: eine interessante, sehenswerte Aufführung, die zu-Recht mit lebhaftem Beifall bedankt wurde.

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