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Das Unmeßbare und Unwägbare

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Das gesamtösterreichische Freilichtmuseum soll auf dem hügeligen Gelände des Reinprechtwaldgrabens, bei Stübing, erstehen. Es ist leicht von der Bundesstraße Bruck—Graz aus erreichbar und nur wenige Kilometer von der steirischen Landeshauptstadt entfernt. Die steirische Landesregierung hat eigens für diesen Zweck den Grund gewidmet. Die Landesregierungen aller österreichischen Bundesländer haben ihre Unterstützung, Förderung und Beteiligung zugesagt. Auf dem rund 30 Hektar umfassenden Areal werden vorläufig etwa 15 bis 20 Bauernhöfe mit den dazugehörigen Nebengebäuden, mit Stall und Stadl, Getreidemühle und Backhaus, mit Hammerschmiede, Säge und Lodenwalkerei, mit allen den Zeugnissen der vielgestalten Hof- und Lebensformen aus der vorindustriellen ländlichen Volkskultur erstehen. Es wird Holzknechts- und Köhlerhütten mit Kohlenmeiern geben, Wegkreuze und Marterln, eine bäuerliche Kapelle, ein „Stöckl“ mit Preßhaus, Keller und Kelter und anderes mehr.

In Baugruppen, geordnet nach den einzelnen österreichischen Kulturlandschaften, werden die Häuser so aufgestellt werden, daß jede Baugruppe eine in sich geschlossene Einheit bildet, die sich durch Hecke und Zaun von den

Photo: H. PöltUr

Nachbarn abgrenzt. Das Ganze der Anlage aber wird jenes Unmeßbare und Unwägbare abbilden, das die österreichische Atmosphäre und' die österreichische Heimat ausmacht. Es sollen Handweber, Töpfer, Korbflechter, Holzschnitzer angesiedelt werden; ihre Erzeugnisse werden an Ort und Stelle und in Heimatwerken zu kaufen' sein. Selten gewordene landwirtschaftliche Nutzpflanzen wie Flachs, Buchweizen und anderes werden angebaut, und Bauerngärten werden den Höfen die naturgegebene Umgebung verleihen.

Die einzelnen Objekte werden nach wissenschaftlichen Gesichtspunkten von den österreichischen Bundesländern zur Verfügung gestellt, abgetragen und im Freilichtmuseum wieder aufgestellt. Als erstes Objekt ist die Hallinger Hube aus dem obersteirischen Murtal, aus dem Schwarzen-bergschen Besitz, gewidmet worden.

Die Finanzierung des Vorhabens wird durch Widmungen, Stiftungen und Leistungen öffentlicher Institutionen zu erbringen sein. In zehn Jahren soll das Areal besiedelt sein, aber schon in fünf Jahren wird es, so hofft man, so weit sein, daß ein Teil der Objekte steht und das österreichische Freilichtmuseum eröffnet werden kann. In Graz gibt es ein eigenes Büro. „österreichisches Freilichtmuseum“, das Professor Dr. P ö 111 e r, ein Schüler Professor Gerambs, leitet. Professor Pöttler ist mit dem Aufbau des Museums beauftragt. Ihm stehen im Rahmen eines wissenschaftlichen Beirats Fachleute aus allen Bundesländern zur Seite.

Magnet für den Fremdenverkehr

Zwei Millionen Besucher jährlich zählt der weltberühmte Museumpark Skansen bei Stockholm; er ist der Magnet für den Fremdenverkehr in Schweden. Für die Steiermark und für ganz Österreich bedeutet das österreichische Freilichtmuseum einen Anziehungspunkt, der umso stärker ist. je mehr der Reisende und Urlauber Orte der Ruhe und Erholung sucht. Es ist sehr wohl denkbar, daß in ferner Zeit einmal diese Gründung, abgesehen von ihrem Wert als wissenschaftliche Dokumentation, als Spiegel des Lebens der Vorfahren, ein gesegneter Ort der Erholung sein wird.

Daß ein so großer Plan auch seine Gegner hat, ist unvermeidlich. Kurzsichtige und nur der Gegenwart verpflichtete Zeitgenossen reißen ohne Bedenken hinter sich die Brücken ein, über die sie ihren Weg gegangen sind. Sie sehen die Dringlichkeit des Vorhabens nicht ein. Diesen Gegnern antwortet Arthur Hazelius: „Es kann der Tag kommen, da all unser Gold nicht reicht, uns ein Bild der entschwundenen Zeit zu formen.“

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