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Porträt des „letzten Dorfes“

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Die bäuerliche Welt ist seit geraumer Zeit in einer noch nicht abzusehenden Wandlung begriffen. Äußerlich ist die soziologische und arbeitstechnische Veränderung, verursacht durch den Einbruch der Technik und Industrie in die bäuerliche Wirtschaftsund Lebensweise, im Dorfbild sichtbar. Es ist allerdings übertrieben, wenn Rudolf P f i s t e r über den funktionellen Baustil unserer Tage in Bezug auf das Dorfbild feststellt: „Nichts ist dem heutigen Bauern modern genug, und die heutige Form bäuerlicher Wirtschaft wird zwangsläufig auch äußerlich den Bauernhof zum Fabriksbetrieb machen und den Futtersilo an die Stelle des Kirchturms setzen, als prominentes Blickziel im Dorfbild.“ Aber es ist trotzdem eine Tatsache, daß die bäuerliche und gewerblich-handwerkliche Welt unserer Eltern und Großeltern verschwindet und mit ihr das rein handwerkliche Bauen mit den traditionellen, altgewohnten Baustoffen. Die so nuancenreichen bäuerlichen Haustypen der einzelnen österreichischen Landschaften, die Wirtschafts- und Nebengebäude und die alten Arbeitsgeräte gehören dem Lebensstil der Altvordern an. Wohl stehen noch da und dort in mehr abgelegenen Gegenden die Zeugen der Vergangenheit; sie werden auch zuweilen noch benützt. Aber wenn noch der Sohn bleibt, so ist es doch gewiß, daß der Enkel das Haus verlassen wird. Nicht selten stehen solche Höfe heute leer. Daneben hat sich der Enkel schon sein Wohnhaus im Serienstil der vorstädtischen Kleinvilla gebaut, und statt der alten Scheune steht ein Betonbau. Er ist zugleich Garage für Traktor und Auto, für Melkmaschine, Mähdrescher und andere landwirtschaftliche Maschinen. 7000 Baustellen gibt es gegenwärtig in der Steiermark auf dem Lande. In Österreich werden es gegen 100.000 Baustellen sein. Sie alle verändern das altgewohnte Bild des Dorfes und seine Struktur.

Stockholm machte den.Anfang

Diese Situation bedeutet: die Welt von gestern, aus der wir alle kommen, ist endgültig vorüber. Wir können sie noch in photographischen Aufnahmen festhalten. Unverlierbar und zu bleibendem Gedächtnis aber können wir sie in einem Freilichtmuseum .den nachkommenden Geschlechtern weitergeben.

Der Gedanke des Freilichtmuseums hat zunächst Ende des 19. Jahrhunderts in skandinavischen Ländern Wurzel geschlagen. Der Schwede Arthur H a-zelius schuf 1891 in Stockholm mit seinem Museumpark Skansen das erste, heute weltberühmte Freilichtmuseum auf europäischem Boden. Er stellte Originalbauten in wissenschaftlich einwandfreier Weise auf einem 30 Hektar umfassenden Gelände auf. Gegenwärtig sind hier gegen 120 Obiekte versammelt. Hazelius belebte die Anlage, indem er Handwerker auf alten Geräten arbeiten, eine alte Mühle dort betreiben und Volksfeste dort feiern li^fi Mi+ dieser Gründune wurde der H

Weg für die Entwicklung des Freilichtmuseums gewiesen.

Seit der Jahrhundertwende wachsen solche Freilichtmuseen in allen europäischen Ländern aus dem Boden. Oft sind die frühen Gründungen unter großen Opfern von Idealisten verwirklicht worden, wurden aber späterhin vom Staat übernommen. Nach dem ersten Freilichtmuseum in Stockholm folgt Norwegen im Jahre 1894 mit dem „Norsk Folkemuseum“ von Bygdoy bei Oslo. Es wird 1914 mit rund 100 Objekten eröffnet. Weitere Freilichtmuseen gibt es in Lillehammer mit ebenfalls rund 100 Objekten und in Elverum, wo in zehn Höfen gegen 70 Bauten zusammenstehen. Dänemark errichtet 1901 sein „Frilands-Museet Sorgenfri“ bei Kopenhagen, eine reine Schaustätte ohne Belebung durch Menschen oder folkloristische Darbietungen. 1909 wird ein zweites Freilichtmuseum in Aarhus eröffnet,. eine Marktstadt mit Läden, Betrieben und

Werkstätten. Das dritte dänische Museum ist in Odense; es wird 1946 eröffnet; in seinem Freilichttheater finden regelmäßig Aufführungen statt.

In Finnland wird das 1909 gegründete Museum auf der Insel Seurasaari in Helsinki, 1913 vom Staat weitergeführt. Holland besitzt in Arnhem seit 1918 ein 56 Objekte umfassendes, sehr schönes Freilichtmuseum. Hier gibt es neben Häusern und Gehöften und einem Fluß auch eine Schiffswerft, eine Brauerei, verschiedene Werkstätten und einen Kräutergarten. Es wird zur Zeit jährlich von rund 300.000 Gästen besucht.

Die Bundesrepublik Deutschland hat in Cloppenburg (Oldenburg) seit 193 5 ein Museumsdorf. Zur Zeit wird in der Eifel, bei Kommern, ein weiteres gebaut, für das ein Areal von 100 Hektar zur Verfügung steht. Dieses Rheinische Freilichtmuseum wird nach neuzeitliehen Erkenntnissen in mehreren Baugruppen mit zusammen 60 Einzelbauten errichtet. Auch in Belgien, Großbritannien, Spanien und in der Tschechoslowakei bestehen Freilichtmuseen. In Frankreich und in der Schweiz werden die Projekte noch eifrig diskutiert. In den USA gibt es seit den zwanziger Jahren zahlreiche „Restauration Vil-lages“, Dorfanlagen, deren ursprünglicher Zustand wieder hergestellt oder rekonstruiert worden ist. Der Besucher wird hier in das Leben der „Pionierzeit“ eingeführt.

Die Freilichtmuseen in den einzelnen Ländern sind nicht nach einem einheitlichen Bauplan errichtet. Jedes Land hat ein solches nach den kulturgeschichtlichen und landschaftlichen Gegebenheiten angelegt. Aber allen Gründungen liegt derselbe Gedanke zugrunde: Auf der Welt von Gestern baut sich die Welt von Heute und Morgen auf. Wir sind es unseren Kindern schuldig, zu zeigen, wie ihre Großväter gelebt und was sie geleistet haben. Auf ihrem Dasein steht das unsere und das ihre.

Keine steirische Extratour

Nun wird auch in Österreich ein Freilichtmuseum errichtet werden. Nach gründlicher Vorbereitung fand am 26. November 1962 im Weißen Saal der Grazer Burg die Gründungsfeier statt, an der die zuständigen Beamten der Ministerien und der Bundesländer sowie zahlreiche Interessierte teilgenommen haben. Bei der konstituierenden Sitzung des Kuratoriums wurde Bundesminister Dr. D r i m m e 1 zum Präsidenten, Landesrat Universitätsprofessor Dr. Koren zum Geschäftsführenden Präsidenten, Direktor Kommerzialrat Dr. Siegbert P a u-ritsch zum Finanzreferenten und Professor Dr. Viktor'Herbert Pöttler zum Geschäftsführer gewählt. Bundespräsident Dr. Schärf hat das Ehrenprotektorat übernommen.

Die Gründung ist keine steirische Extratour. Landesrat Koren, Profes-; sor der Volkskunde an der G^äzer Universität, der eigentliche Initiator des österreichischen Freilichtmuseums, erläuterte in einem umfangreichen Referat Sinn und Bedeutung des Vorhabens

Rauchküche aus Alpbach In Tirol und beantwortete die Frage, warum das Freilichtmuseum gerade in der Steiermark erstehen soll: „...der Ernst und die Begründung liegen in der Überlieferung des Freilichtmuseum-Gedankens in unserem Land.“ Schon der Indogermanist Rudolf M e h r i n-ger, dessen Schüler, Professor Dr. Viktor von G e r a m b, der Nestor der österreichischen Volkskunde wurde, habe auf die einmaligen Möglichkeiten eines über die bisherigen Traditionen hinausreichenden Volkskundemuseums in der Steiermark hingewiesen, und Viktor von Geramb habe mehrmals den Gedanken aufgegriffen, doch die politischen Ereignisse haben die Verwirklichung des Planes vereitelt.

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