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Die „Fliegenden Holländer“

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„TRAFT IHR DAS SCHIFF IM MEERE AN?“, erklingt es im Haus am Ring. Und auch anderswo. Wieder einmal ist Wagners „Fliegender Holländer“ auf dem Programm, jene sagenumwitterte, vielbeschriebene und doch so wenig bekannte Gestalt. Der „Fliegende Holländer“ ist nicht zuletzt auch durch den großen Opernkomponisten ein Begriff geworden. Und dadurch auch die alte Seefahrertradition der Niederländer. Denn die Seefahrt ist dem Küstenvolk rund um den Zuidersee seit unzähligen Generationen sozusagen angeboren. Und wenn man den Hamburgern (des Klimas wegen) nachsagt, sie kämen bereits mit Regenschirm und Gummistiefeln auf die Welt, dann müßte man sinngemäß bei den Niederländern variieren, ihnen werde beim ersten Lichtblick bereits ein Schiff mitgeliefert ...

AUCH HEUTE NOCH BESITZT Kollands Passagier- und Handelsflotte einen guten „Platz“ in der internationalen Schiffahrt. Wenngleich die Niederländer schon vor mehr als vier Jahrzehnten begannen, konsequenterweise auch den dritten Verkehrsraum, die Luft, zu erobern, und bewußt oder unbewußt die Übertragung der Seefahrttradition auf die Luftfahrt dadurch unterstrichen, daß sie auf ihre „Vögel“ den beziehungs- und traditionsreichen Namen „Der fliegende Holländer“ pinselten ...

Von der ersten KLM-Maschine, einem umgebauten, von einer britischen Gesellschaft gecharterten Militärtyp — nach heutigen Begriffen ein absoluter „Fetzenvogel“ — bis zu den eleganten Vierstrahljets des Typs Douglas DC-8 ist ein weiter Weg. Ein Weg, mit dem der Name Albert Ples-man untrennbar verbunden ist. Und kommt man heute nach Den Haag inS KLM-Zentrum, dann liest man auf dem Straßenschild: „Plesmanweg“ ...

WER WAR DIESER PLESMAN?

Ein (damals) junger, energischer Fliegeroffizier, der es sich in den Kopf gesetzt hatte, das „dritte Element“ für die Niederlande zu erobern. Weiß Gott, es war ein bescheidener Anfang an jenem 7. Oktober 1919, und es war eine besondere Auszeichnung, daß Ihre Majestät, Königin Wilhelmina der Niederlande, der noch in Gründung befindlichen Gesellschaft schon mit dem 12. September desselben Jahres als allerhöchsten Vertrauensvorschuß das Recht verlieh, den Titel „Königlich“ zu führen. Woraus der noch heute verwendete Titel KLM (Konink-liike Luchtvaart Maatschappij, also Königliche Luftfahrtgesellschaft) resultiert. Und am 17. Mai 1920 ist „Erstflug“ der neuen Gesellschaft. An Bord: zwei Fluggäste und ein Paket Morgenzeitungen . ..

EINEN SCHWEREN SCHLAG für die in bester Aufwärtsentwicklung stehende KLM bedeutet der zweite Weltkrieg. Verlegung der Geschäfts-leitung nach London, Einstellung aller KLM-Dienste ab Holland an jenem historischen 10. Mai 1940. Aber die Holländer sind „hart“: Sie bauen noch während des Krieges von London aus eine Fülle von Routen aui: Tel Aviv—Djakarta, Bristol—Lissabon-Gibraltar, Curacao—Ciudad Trujillo, Curacao—Port au Prince—Miami und viele noch.

Ende 1945 wird endlich wieder die schon historische Route Amsterdam-Ostindien beflogen, als erste Airline fliegt KLM Nordatlantikdienste, schließt 1958 durch die Polarroute den Kreis „um die Welt“, wie er durch die Polrouten-Pioniertätigkeit von SAS vorgezeichnet wurde. Heute liegt KLM unter allen Fluggesellschaften der Welt an dritter Stelle in der Passagier- und an zweiter Stelle in der Frachtbeförderung.

„UND SCHON DAMALS GAB ES J:UFTFRACHT“. erzählt mir KLM-Frachtfachmann van der Hoef, als ich mit ihm in der „Vrachtkist“ von KLM, der guten alten DC-3, hinter einem Berg von Luftfracht die Route Amsterdam—Wien fliege. „Schon damals, bald nach der Gründung unserer

Gesellschaft, waren es .schnelle' Dinge, die wir befördert haben: Zeitungen, Obst, Blumen, Regenmäntel und vieles noch. Heute kommen ganze Modekollektionen — gleich auf dem Kleiderbügel! — dazu oder auch Lebendvieh, dringend benötigte Instrumente und Geräte, Maschinenteile und vieles, vieles noch. Sicherlich: schwere Massengüter, wie Kohle, Eisen, Stahl, Getreide, das überlassen wir gerne unseren Kollegen zu Lande und zu Wasser. Aber bei den heiklen und — eben den .schnellen' Dingen, da hat die Luftfracht noch sehr große Zukunftschancen!“ Ich muß ihm recht geben. Zumal wir gerade über dem unweit von Amsterdam-Schiphol gelegenen Blumenzentrum Aalsmeer wegziehen, von wo aus in der Saison Tag für Tag die herrlichsten Blumensendungen auf dem schnellsten (Luft-) Wege in aller Herren Länder befördert werden.

APROPOS LUFTFRACHT: Noch während die Alliierten in unserem Lande sehr intensiv alles in ihrer Hand konzentrieren, was auch nur irgendwie mit Luftverkehr zusammenhängt, ist es eine niederländische KLM-Maschine, die regelmäßige Passagier-und vor allem Frachtdienste von und nach Österreich aufnimmt und fliegt.

Auch heute noch ist KLM die einzige Airline mit regelmäßigem Luftfrachtdienst, und die Linzer wissen es zu schätzen, daß auch die oberösterreichische Landeshauptstadt Woche für Woche von KLM angeflogen wird. „Wir haben oft sehr bedeutende Mengen Fracht für Linz an Bord“, erklärt mir KLM-Frachtmanager Kastner in Wien-Schwechat, „und erst recht für Wien. Sie haben's ja selber erlebt. Für besonders große Güter verwenden wir dann nicht die DC-3, sondern unseren Großfrachter, die DC-7-F.“ Ich erinnere mich: eine Salzburger Firma fliegt ihre Importreiseflugzeuge regel-niuulg mit CC-/-Frachttin (von “KLM an die Salzach. Montagefertig verpackt. Was so in einem' Flugzeug Platz hat und befördern werden kann...“ /

„DAS KANN MA?N WOHL SAGEN“, grinst van der )Hoef, irgendwo über Deutschland in.4 Erzählen so richtig in „Fahrt“. „Da hat doch einmal ein KLM-Frachtpüot hinter sich dauernd ein Gewimmkr und Gejeier gehört, als er seine ,V, rachtkist' durch ein etwas turbulentes (Wetter steuerte. Sie können sich ja denken, daß ihm nicht wohl in seiner Haut war. Von wegen .blinder Passagier' und so. In der Kabine fand der Copilot aber außer der Fracht nichts. Na, nach der Landung hat man's dann entdeckt: eine Ladung .Mama'-Puppen, die bei jeder Bewegung der Maschine ganz jämmerlich zu schreien anfingen!“

SEIN BREITESTES LÄCHELN setzt KLM-Direktor Vogels auf, als wir uns im Pressezentrum „Nieuwspoort“ von

Den Haag die Hände schütteln. „Grüß Gott, Professor!“, und schon versinken wir in tiefen Klubfauteuils und — in der Geschichte und den “Problemen von KLM. Ich schneide gleich ein besonders heikles Thema an: „Wie ist das mit den staatlichen Subventionen bei KLM?“ „Ist doch bei allen großen Gesellschaften eine Selbstverständlichkeit“, wirft Direktor Vogels ein. „Eine Airline, die des Staates Farben in alle Welt fliegt, an deren Unterstützung muß doch auch der Staat interessiert sein!“ Und er hat recht: Man kann irgendeine Gesellschaft nehmen: der (jeweilige) Staat läßt es sich was kosten, eine eigene Airline zu haben. „Und gibt es bei Ihnen, bei KLM also, irgendeinen Einfluß politischer Funktionäre auf die Gesellschaft?“ Da setzt mein Gesprächspartner sein ehrlich erstauntes

Gesicht auf. „Politischer Einfluß? Das käme doch überhaupt nicht in Frage bei uns.“ Bei KLM ...

„WIE WIRD KLM SUBVENTIONIERT?“ frage ich Direktor Vogels im „Nieuwspoort“ weiteT. „Nicht direkt“, ergänzt er. „Unsere Gesellschaftsanteile werden an der Börse in New York und Amsterdam gehandelt wie andere auch. Und 51 Prozent des eingetragenen Kapitals befinden sich in den Händen des Königreichs der Niederlande. Von einer Beeinflussung auf Grund dieser Besitzverhältnisse kann aber keine Rede sein“, versichert er mir.

Und ich erinnere mich heute, Mtnate nachher, an programmatische

ErWärungen bei der letzten AUA-Pressikonferenz für Auslandsjour-nalisttn, wo als Programm für die Zukunft die strikte Ausschaltung jedes politischen Einflusses auf technische Fragen als unerläßliche Bedingung aufgestellt wurde. KLM ist der beste Beweis fü: die Richtigkeit dieser Haltung.

DER „HIMMELSLIFT“, die „Elec-tra JI“, hat atgehoben und zieht steil gegen die Wollen. Kaum zwei Stunden später werden vir — „wie ein Raubvogel“, grinst nein Sitznachbar, und er hat nicht so unrecht — steil auf Schwechat hinunterstoßen. Vorerst aber geht es in 7000 Meter Höhe, weit „über dem Wetter“, über den Wolken und mit einem unbeschreiblich tiefblauen Himmel über uns, unserem Ziel entgegen, umsorgt von allem Komfort der modernen Luftreise.

„Seine Majestät der Huggast“ belieben, gut behandelt zu werden, und er partizipiert gern am Wettstreit der Airlines um seine Gunst. Vorn im Cockpit ist die Besatzung um unser aller Wohl bemüht, so wie die dienstbaren Stewardessen hier in der angenehm klimatisierten und sorgsam gegen daä Triebwerkgeräusch isolierten Kabine. Außentemperaturen minus vierzig, hier „herinnen“ dafür aber richtij temperiert.

WIE EIN DIRIGENT VOR DEM ORCHESTER steht KLM-Station-Manager der Cornelis Luik vor der bulligen „Electra II“, die — Kurs nach Teheran — ihre Allison-Turboprops in Gang setzt. Einen nach dem anderen. Denn das ist das in der ganzen Welt „einheitliche“ Zeichen: beide Daumen nach oben. Fertig, ab mit dem Vogel! Der Kapitän in der „Venus“ — KLM hat seine „Elecrras“ nach Planeten benannt — nickt grüßend, und schon rollt der Riesenvogel an den Start. „Hätten wir wieder“, schmunzelt er mir entgegen. „Und wie geht's?“ Na, wie soll's schon gehen, wenn man nach einer Woche Holland wieder in Wien eingetroffen ist und das Land am Zuidersee richtig liebgewonnen hat?

„Und wie hat Ihnen Schiphol gefallen?“ fragt dieser „fliegende Holländer“ mit dem Adlergesicht weiter. „Etwas andere Frachtabteilung als hier, wie?“ Das kann man wohl sagen. Mit Rohrpost für die Begleitpapiere, Gabelstaplern und so weiter. Überhaupt der ganze Flughafen! Verkörperung der holländischen Gast» frsundlichkeit im Architektonischen. Ein Gegenstück dazu: Schwechat für Wiert.

SELTSAME DINGE begeben sich zur Zeit in und rund um KLM. Maßgebliche Direktoren nehmen ihren Abschied, ufd man munkelt von einer „zwangsweiser» Eingliederung“ in die noch gar nicht gegründete „Air Union“, jene , EWG der Luft“, über die sich die Fachleute noch keineswegs ganz einig 'ind, die Regierungen hingegen schon vk-1 weitgehender. Wir sind der Ansicht, eiaß es schade wäre, die planmäßige Aufbauarbeit von vierzig Jahren „links liegen“ zu lassen und mit wehenden Fahnefl in eine neue Zustands- und Arbeitsform zu übersiedeln, die besser erst zK konkretisieren und zu präzisieren Wäre. Doch diese Dinge werden vorwagend in Den Haag entschieden.

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