Das Leck ist nicht mehr zu stopfen

Werbung
Werbung
Werbung

J edes noch so pikante Detail sollte veröffentlicht werden. Keinem einzigen Menschen mit Internetzugang sollten geheime Inhalte brisanter Dokumente aus dem US-Außenministerium vorenthalten werden. Mit der Gründung der Enthüllungsplattform "WikiLeaks“ startete Julian Assange Ende 2006 eine Online-Revolution. Jetzt hat sich das System von WikiLeaks selbst gerichtet. Es gelangten letzte Woche nicht nur über 251.000 amerikanische Diplomaten-Depeschen frei zugänglich ins Netz; was noch zusätzlich aufgedeckt wurde und die Enthüllung besonders spektakulär macht: Die Namen der Informanten.

Der Grund für diese sprichwörtliche Bloßstellung durch die Whistleblower-Plattform ist ebenso folgenschwer wie banal: Die Namen wurden nicht geschwärzt. In diesem Zustand waren die Dokumente auch nicht für eine Veröffentlichung gedacht. Noch unveränderte US-Depeschen waren durch ein Passwort geschützt. Dieses Passwort wurde vom britischen "Guardian“-Journalist David Leigh in seinem Buch "Inside Julian Assange’s War on Secrecy“ veröffentlicht - angeblich im Glauben, die Daten seien wie mit Assange vereinbart zu jenem Zeitpunkt bereits gelöscht worden. Durch diesen Umstand - sei es ein Irrtum, ein Missverständnis, Gutgläubigkeit oder Fahrlässigkeit - sind sie auf mehrere Rechner gelangt und Hunderte Informanten in Bedrängnis geraten.

Die Fehler sind nicht mehr zu übersehen

Wer für den Datentransfer verantwortlich ist, ist noch nicht geklärt. Assange beschuldigt seinen ehemaligen Vertrauten und nunmehrigen Feind Daniel Domscheit-Berg, Gründer der Konkurrenzplattform "OpenLeaks“, des Diebstahls unveröffentlichter Dokumente und macht Leigh aufgrund der Preisgabe des Passworts für die neue Krise von WikiLeaks verantwortlich. Der Australier selbst will keine Schuld an der Misere tragen.

Assange wollte Journalismus in einer ganz neuen Form ins Leben rufen. Fehlerfrei war diese neue Form von Anfang an nicht. Das erste abschreckende Beispiel für alle potenziellen Informanten von WikiLeaks stellt der US-Soldat Bradley Manning dar, der im Mai 2010 in Kuwait verhaftet wurde, weil er in Verdacht geriet, WikiLeaks geheime Daten zugespielt zu haben. Er ist bis heute in Haft. Durch die jetzige Preisgabe mehrerer Namen ist die Fehlerhaftigkeit von WikiLeaks endgültig für alle unübersehbar. Offen bleibt die Frage, wer in Zukunft noch den Mut hat, brisante Details an WikiLeaks zu übermitteln und sich damit mit großer Wahrscheinlichkeit selbst in Gefahr zu bringen.

"Keep us strong“ heißt es auf der Homepage von WikiLeaks. Für die Plattform wird Unterstützung und Vertrauen, um "stark zu bleiben“ tatsächlich vonnöten sein, um weiter bestehen zu können. Die Zukunft der Enthüllungsplattform ist ungwiss, ebenso wie die von Julian Assange. Sicher ist nur: Er wird viele Fragen beantworten müssen. Ob es ihm dadurch gelingt, die Glaubwürdigkeit von WikiLeaks - die für viele schon von Anfang an nicht gegeben war - wieder herzustellen, ist abzuwarten.

Bereits im letzten Jahr ist Assange in ein heftiges mediales Kreuzfeuer geraten. In Schweden läuft gegen ihn ein Verfahren wegen sexuellen Übergriffs. Durch eine Fußfessel überwacht muss Assange jetzt nicht nur gegen seine Auslieferung, sondern auch für seine Plattform kämpfen.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung