Den richtigen Ton finden

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Wie ein Streichquartett von Kurt Schwertsik entsteht - ein Porträt zum 70. Geburtstag am 25. Juni.

Es war ein Kompositionsauftrag, der Kurt Schwertsik den Anstoß zu seinem jüngsten Werk gab. Das Österreichische Rote Kreuz wünschte sich anlässlich seines 125jährigen Bestehens ein Streichquartett. "Grundidee war die Schlacht bei Solferino", erzählt Schwertsik, "wo Henry Dunant den Abtransport und die Pflege aller Soldaten organisiert hat - gleich, welcher Nation sie angehört haben. Die Musik soll diese Stimmung haben, wo sich aus einer ganz fürchterlichen Situation unter großen Schwierigkeiten etwas Positives entwickelt." Die vertonten Geburtswehen einer guten Sache? "Naja, wenn man so ein Gefühl verbalisiert, das geht nicht, das wäre furchtbar!" Kurt Schwertsik lacht - er lacht oft und gerne - und geht zu einem Regal unweit seines Pianinos. Es enthält dicke Mappen, gefüllt mit alten Skizzen. Musikfragmente, angefangene und nur ansatzweise verarbeitete Motive, Notenpapier mit Bleistift beschrieben, Vieles ist durchgestrichen. Ein reicher Fundus an Material, aus dem Schwertsik immer wieder schöpft. So auch bei jenem vierten Satz besagten Streichquartetts, dessen Entstehung wir begleiten und für die "Musikviertelstunde" des Ö1-Radiokollegs dokumentieren durften.

Wie lange braucht ein Klang?

Kurt Schwertsik hat das nachdenklich fragende Anfangsmotiv des Schlusssatzes nach einem Gespräch mit seiner Frau erfunden. "Ich mach' das oft, wenn ich mir über eine Komposition nicht im Klaren bin, dann red' ich mit meiner Frau darüber." Das zweite Thema, getragen choralartig, stammt aus einer Skizzenmappe und hat etliche Jahre auf dem Buckel. Spannend zu beobachten, wie nun in einem Prozess der ständigen Vereinfachung die damals zu dicht geratene Kontrapunktik quasi dekomprimiert wird. Die Noten erhalten mehr Raum, die Zuhörer dadurch mehr Zeit, sich in der Komposition zurecht zu finden. "Das ist beim Komponieren eine sehr grundlegende Frage", meint Kurt Schwertsik, "Wie lange braucht ein Klang?" Ein Zitat von Felix Mendelsohn-Bartholdy habe ihn in diesem Zusammenhang fasziniert: "So wie mir etwas einfällt, kann ich es nicht gebrauchen. Ich muss es vereinfachen." Tatsächlich ist Komponieren für Schwertsik auch so etwas wie ein Reifungsprozess, eine ständige Suche nach dem richtigen Ton. "Im Lauf der Jahre hab' ich ein immer sichereres Gefühl dafür entwickelt, ob ich einen Ton wirklich genau so will, wie ich ihn hingeschrieben habe. Beim Komponieren geht es eigentlich nur darum und um die grundlegende Maxime, die ich allen meinen Schülern mitgebe: Es derf net fad wer'n."

Ins Positive geschraubt

Der vierte Satz endet mit einer ätherischen, im Flagolet zu spielenden Passage und in reinem C Dur. "Ein Quartett, das sich ins Positive schraubt", lacht Schwertsik und fügt hinzu "Da muss schon viel passieren, dass ich mich trau', einen Dur-Akkord zu schreiben." Moll-Akkorde fielen ihm leichter, das entspreche mehr seinem Pessimismus die Zukunft der Menschen betreffend. "Ein Kollege hat einmal zu mir gesagt: Du komponierst, als wär' die Welt noch in Ordnung.' Ja glauben denn die Leut', dass die Welt jemals in Ordnung war? Das ist doch naiv!" Natürlich könne nach der Uraufführung auch jemand kommen und sagen "Also bitte, dieser Schluss in Dur, das war schon recht platt." "Aber das leist' ich mir eben. Mein Gott, ich bin jetzt 70 Jahr', was soll mir passieren?"

Unser viertes Treffen mit Kurt Schwertsik erfolgt in der Wohnung von Joanna Lewis, der Gründerin und ersten Geigerin des Koehne-Quartetts. Die Damen haben schon einige Male mit dem Komponisten zusammengearbeitet und sind ihm freundschaftlich verbunden. Spannend zu beobachten, wie der Komponist beim ersten Durchspielen da steht und lauscht - das, was gerade erklingt mit dem vergleicht, was er Wochen hindurch innerlich gehört und zu Papier zu bringen versucht hat. "Es war ergreifend", meint ein zufriedener Kurt Schwertsik nachher. "Eigentlich genau so, wie ich es gehofft habe. Und ich bin stolz, dass ich in keinem Teil des Satzes sentimental geworden bin."

Der Autor ist Religions- und

Musikjournalist in Ö1.

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