Die Düfte von Reunion

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Axel Gauvin schreibt jeden seiner Romane zweimal - einmal Kreolisch und einmal Französisch.

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Axel Gauvin schreibt jeden seiner Romane zweimal - einmal Kreolisch und einmal Französisch.

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Axel Gauvins Romane sind Bekenntnisse zur kreolischen Kultur und zu den Menschen von Reunion, der Nachbarinsel von Mauritius. Die witzige, liebevolle und doch unsentimentale Beschreibung seiner Protagonisten und sein eigenwilliger, mit kreolischen Ausdrücken und Strukturelementen stark angereicherter Stil haben dem Autor das begeisterte Lob der Pariser Literaturkritik und die Aufmerksamkeit der französischen Leserschaft eingebracht. "Wenn du aufwachst, bin ich da" heißt der zweite ins Deutsche übersetzte Roman Gauvins. Er erzählt die Geschichte der rauhen, wettergegerbten Margrite Bellon, ihres Mannes Gaetan und ihres Enkels Aime.

Der Knabe wird nach dem Tod seiner geistesgestörten Mutter schwer krank zu der Alten gebracht. Diese rettet ihn und es entsteht bald für beide die erste wahre Liebe. Auch Gaetan Benard, der Margrite bis zur Ankunft des Kleinen verhaßte Ehemann, erscheint ihr nun durch seine Liebe und Fürsorge für das Kind in einem neuen Licht. Sie alle erfahren erst nach einem von Leid gezeichneten Leben jenes Glück, das ihnen die Kraft gibt, die Traumata der Vergangenheit zu überwinden.

Margrite schöpft ihre Kraft aus der Liebe zum Enkel und aus den Erinnerungen an ihre verstorbenen Verwandten. Aime besiegt seinen immer wiederkehrenden Alptraum, in dem ihn seine Mutter, die schon den Vater und die Geschwister auf dem Gewissen hat, umbringen will. Gaetan, ein ehemaliger Journalist, alter Schürzenjäger, überzeugter Kommunist und Antiklerikaler, renoviert dem Kleinen zuliebe seinen alten Wagen und findet dabei seine Männlichkeit und Würde wieder: "Nach Kythera schlägt also wie ein Gespann, das den Weg kennt, von selbst die Straßen ein, denen er seinen Namen verdankt: Hier hatte Marie-Pierre sich dazu bewegen lassen, sich neben Gaetan zu setzen. Dort hatte er Laure auf dem Lederpolster herumgekriegt. An jener Kreuzung wohnte Josephat, die erfahrene, die gerissene...

Bei der Erinnerung an Josephat... in genau dem Moment wird der Wallach wieder zum Hengst! Gaetan spürt, wie er ganz sachte den Kopf hebt und vorwitzig aus seiner Nesseltuchbox blinzelt.

Unglaubliche Verblüffung.

Freudiges Staunen.

Jubel!"

Die humorvollen Beschreibungen der Charaktere, vom chinesischen Kramladenbesitzer Maneti über Gaetans Sohn Gabriel und den einfältigen Grand-Gaby (ein Indochina-Soldat und Gehilfe Margrites) bis hin zu den nur noch in der Erinnerung der Hauptpersonen Lebenden, zeichnen ein vielschichtiges Bild vom Leben der Menschen auf Reunion von der Jahrhundertwende bis in die siebziger Jahre. Durch die ganze Geschichte zieht sich der Duft von reifen Voa-vangas, Bananen, Mangos, wilden Orchideen und Vetiver. Das Buch läßt die Schönheit der pazifischen Insel erahnen, auf der das Leben doch so hart erscheint.

Im 17. Jahrhundert von den Franzosen annektiert, lebt die Insel bis heute hauptsächlich vom - mittlerweile von Frankreich und der EU subventionierten - Zuckerrohranbau. Der bescheidene Ertrag der Pflanze mit den messerscharfen Blättern ernährt die meisten Reunionesen mehr schlecht als recht: "Das Verknoten des Stricks, die rasche Toilette - das große Bad muß bis nachts warten -, ihre Gesten wirken energisch wie ein Schlußpunkt. Großmutters Müdigkeit steigert sich heute abend zu einem Gefühl erfüllter Pflicht. Verwandelt sich in Freude über die Befreiung, in Stolz über den Sieg: Großmutter hat die letzten Gitter des Zuckerrohrgefängnisses zum Einstürzen gebracht. Sie ist erleichtert, glücklich, frei." Gaetan Benard nennt das "taschentuchgroße" Zuckerrohrfeld Margrites Stalingrad, "weil sie von dort immer erschöpft zurückkehrt wie ein Deutscher von der Ostfront".

Gauvin gehört zu jener Gruppe Intellektueller, die sich für eine Gleichstellung der kreolischen und der französischen Sprache einsetzen. Seine Gedichte, Chansontexte, Theaterstücke und vor allem seine vier Romane hat er in beiden Sprachen geschrieben. Bei den Romanen handelt es sich bei diesen Versionen aber nicht um die wörtliche Übersetzung aus der einen Sprache in die andere, sondern um - selbstverständlich von einander abhängige - Neuschöpfungen. Ein äußerst ungewöhnlicher gegenseitiger sprachlicher Befruchtungsprozeß, der jedenfalls die deutsche Übersetzung von Giovanna Waeckerlin-Induni aus dem kreolischen Französisch zu einem empfehlenswerten Leseerlebnis macht.

Und zur Begegnung mit einer hierzulande so gut wie völlig unbekannten, geographisch winzigen, aber an Geschichten überreichen literarischen Landschaft, die eine erstaunliche Fülle von Autoren vorzuweisen hat.

WENN DU AUFWACHST, BIN ICH DA Roman Axel Gauvin Peter Hammer Verlag, Wuppertal 1997 256 Seiten, geb., öS 263,

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