Die Lässigkeit der chinesischen Göttin

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Gert Chesi gründete 1995 das Haus der Völker im alten Kloster St. Martin in Schwaz um seine ausufernde Sammlung unterbringen und präsentieren zu können. Das internationale Renommée war von Anfang an groß, die Ausstellungen erregten Aufsehen, und das Haus erhielt nicht selten exklusive Leihgaben und war auch als Leihgeber geschätzt. Nachdem das Land Tirol vor einigen Jahren im Kloster Platzbedarf für ein sozialpädagogisches Zentrum anmeldete und den Vertrag mit dem Haus der Völker quasi über Nacht kündigte, schien das Ende des ehrgeizigen Projektes gekommen. Nach zähen Verhandlungen und maßgeblicher Unterstützung durch die Stadt Schwaz entschied man sich seitens des Landes Tirol für einen Zubau, um den Weiterbestand des Museums zu sichern.

Vier Themenbereiche

Für den Neubau zeichnet der Innsbrucker Architekt Peter Mayrhofer verantwortlich. Er dockte einen fensterlosen Quader auf Stelzen an das alte Kloster an und beließ den Eingang im Altbau, da der Bereich des Museumsshops und der Cafeteria sowie der erste Raum der Asienabteilung erhalten blieben. Das neue Museum gliedert sich in vier große Themenbereiche, beginnend mit Asien, wo einem zwei lebensgroße Darstellungen der chinesischen Göttin Guanyin (Song-Periode, 13. Jh.; Ming-Periode, 16. Jh) begegnen, die als bedeutendste Gottheit des südostasiatischen Raumes gilt. Sie sitzt total lässig da und scheint die Besucher zu beobachten.

Es folgen ein exzellent bestückter Archäologiesektor, die Afrikaabteilung und ein Bereich, der sich dem afro-amerikanischen Synkretismus widmet. Dazu gibt es noch zwei Räume für Sonderausstelllungen, die zum Start einerseits unter dem Titel "Sangomas“ großformatige Fotoarbeiten zeigen, die Peter Frank von den traditionellen Heilern Südafrikas machte, und zum anderen Geistermasken aus Thailand präsentieren. Es sind Phantasiemasken, die in Dan Sai, einem Dorf im Norden Thailands an der Grenze zu Laos, für ein riesiges Fest produziert werden. Ganz trendig, mit Airbrush! Gert Chesi verortet die Masken "in 50 Jahren als wichtigen kulturellen Beitrag“. Phi Ta Khon nennen sich die Seelen der Toten, und ihnen ist ein Geisterfest gewidmet, das Dan Sai für zwei Tage in einen brodelnden Hexenkessel verwandelt. "Mit orgiastischen Einlagen, sexuell sehr aufgeladen, wird prüde Bigotterie kritisiert“, erzählt Chesi. Menschen und Geister vermischen sich freundschaftlich. Der Ursprung soll, so die Erzählungen, vor 150 Jahren ein eskalierendes Fest gewesen sein, das mit seinem Krawall die Seelen und Geister der Toten geweckt hatte. Als diese dem exzessiven Treiben Einhalt gebieten wollten und sich zu diesem Zweck unter die Lebenden mischten, endete das Ganze schlussendlich mit einem gemeinsamen rauschenden Fest - die seither alljährliche Fortsetzung ist zur Tradition geworden.

Was insgesamt fasziniert und vor allem im Bereich der Dauerausstellung zum Tragen kommt, ist der Mix aus den unterschiedlichsten Artefakten, die einen Zeitraum von 4000 Jahren dokumentieren und einen schönen Einblick in das kultische und künstlerische Schaffen zahlreicher Kulturen geben. Zum besseren Verständnis der einzelnen Exponate zieht sich das fotografische Werk von Gert Chesi durch den ganzen Sammlungsbereich und dokumentiert die Objekte am Ort ihres Gebrauches.

Man findet phantastische Artefakte aus dem heutigen Kambodscha, der Wiege der Khmer-Kultur, wie etwa eine Herrscherfigur aus Sandstein, die ins 11. Jahrhundert datiert wird, oder einen Löwenkopf aus der Prä-Angkor-Periode sowie Fußreifen der Khmer aus dem 8. Jahrhundert. Die Präsentation der bestickten Textilien der Miao aus China und der Akah aus Nordthailand wurde zwar stark reduziert, zeigt aber noch immer die Quintessenz dieser feinen und farblich wunderbaren Arbeiten. Reduktion ist sonst allerdings nicht unbedingt das Schlagwort, wie auch Chesi zugibt, der selbst vom "wohl überfülltesten Museum Europas“ spricht, da es schwierig war, aus den vorhandenen Exponaten dreier Sammlungen auszuwählen. Die "Collection Andreas und Kathrin Lindner - Arts of Africa, Oceania and the Americas“ bringt neue Facetten wie etwa "Ozeanien mit erstklassigen Provenienzen“, so Chesi.

Bunte Voodoofiguren

Aber auch die Grazer "Hanns Schell Col-lection“ hat mit den Nok-Exponaten ein Atout im Ärmel. Die Kultur der Nok wurde 1928 in Nigeria entdeckt, ist 2500 Jahre alt und nach wie vor rätselhaft. Ebenfalls aus Nigeria, aber aus dem 20. Jahrhundert, sind die farbenfrohen Egungun-Kostüme der Yoruba. Aktuell auch die üppige Gruppe der quietschbunt bemalten Voodoofiguren aus Togo. Als Kontrast dazu gibt es Masken der Ibo, Ewe oder Baule, Schmuck der Gan aus Obervolta oder Steinfiguren von den Antillen.

Museum der Völker

6130 Schwaz/Tirol

täglich 10-18 Uhr

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