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Wo die Götter den Alltag bestimmen
In der kleinen Ortschaft Schwaz im Tiroler Unterinntal wurde im September ein Museum für Kunst und Ethnographie eröffnet. Die über 1.000 Objekte umfassende Privatsammlung des Ethnojournalisten und Fotografen Gert Chesi ist der Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden. Was ein „Haus der Völker" wirklich sein kann, vermittelt der Ausspruch: Wenn in Afrika ein alter Mann stirbt, dann ist dies, als würde eine „Bibliothek niederbrennen".
Das „Haus der Völker" ist eine Stätte der Information, die weniger über eine nahe Vergangenheit berichtet als von dem, was man davon weiß oder darüber denkt. So kann bei einem Besichtigungsrundgang zwar die Schönheit der außereuropäischen Exponate bewundert werden, wahres Wissen über die Objekte aus der Ferne erschließt sich jedoch erst durch das Ineinandergreifen von Objekt und dessen Gebrauch. Das Museum nimmt seine Vermittlungsaufgaben ernst und hat sich über eine Fülle von Veranstaltungsangeboten bereits einen beachtlichen Ruf erworben.
Seit 1963 hat Gert Chesi seine Sammlung aufgebaut. Ausstellungen wie „Les Magiciens de la Terre" im Cen-tre Georges Pompidou in Paris oder im Museum für Völkerkunde in Rotterdam haben Teile von ihr gezeigt. In Österreich gelang es nach zweijährigen Kämpfen mit Behörden und Subventionsgebern, einen Teil des ehemaligen Klosters St. Martin in Schwaz zu einem Museum für Kunst und Ethnographie zu adaptieren. Das
„Haus der Völker" ist eine GmbH., die als unabhängiges Unternehmen geführt wird. Nur durch die Mithilfe von Sponsoren und vielen freiwilligen Helfern ist das Museum möglich geworden.
Die tausend Quadratmeter umfassende Ausstellung wird mit einer Abteilung für die Darstellung der Kunst des Buddhismus eröffnet, eine Besonderheit sind kleine Bronzen mit Szenen aus dem Leben Buddhas, die von Ausgrabungen in Burma stammen. Der Raum zeigt eine perfekte Ausstellungstechnik, vor hellblauem Hintergrund, unter punktueller Beleuchtung präsentieren sich die Werke. Die Raumabfolge ist so aufgebaut, daß der Besucher sich wie ein Reisender führen lassen muß.
Ein großer Komplex von Exponaten stammt aus Afrika, die in thematischen Zusammenhängen präsentiert werden.
Wenn jemand in diesem Museum nur außereuropäische Antiquitäten sucht, wie sie im internationalen Kunsthandel angeboten werden, trifft im „Haus der Völker" auf einen Einblick in die komplexe (und wohltuend erdverbundene) Ideen- und Lebenswelt des Schwarzen Kontinents. Der Einstieg wird am Thema der Jagd dargestellt: Das Tier wird erst dann erlegt, wenn der Körper des Tieres die Seele „freigibt".
Dies leitet über zu dem wohl größten Bereich der Sammlungen Gert Chesis, dem Thema „Voodoo". Der Ritus, dem weltweit rund 50 Millionen Menschen angehören, gilt nicht als Religion im europäischen Sinn, da er Vermischungen mit bestehenden Weltreligionen eingehen kann und sich „Modernisierungen" nicht verschließt.
Der enorme Zulauf, den der Voodoo genießt, läßt sich wohl gerade darauf zurückführen. Die Befragung der Götter durch die Priester oder der Einfluß der Fetische bestimmen den Alltag. Diese Untrennbarkeit zwischen Ritual und Zeitgeschehen ergibt eine uneingeschränkte Ressource für Neues innerhalb der rituellen Tradition. Auch Fotoapparate oder alte Fahrzeuge können über kultische Zusammenhänge zu neuen Bedeutungen gelangen, ein aufgeschlossener Priester nimmt über einen zum Fetisch umfunktionierten Telefonapparat Kontakt mit „seinen" Göttern auf.
Das „Haus der Völker" enthält auch eine umfassende Dokumentation der Ahnenkulte im zentralafrikanischen Raum und einen Saal für temporäre Ausstellungen. Ebenso werden Konzerte und Diskussionsabende veranstaltet.
Die Autorin ist
freie Journalistin.
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