Politischer Islam - © Foto: iSotck/ CiydemImages

Die vielen Sprachen in der Welt des Islam

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Immer noch ist teils nebulös von der "arabisch-islamischen Kultur" die Rede. Das arabische Schriftgewand jedoch reichte von Spanien bis zum Pamir, von China bis nach Südostasien. Das bunte Spektrum muslimisch geprägter Zivilisationen wird bis heute oft verkannt.

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Immer noch ist teils nebulös von der "arabisch-islamischen Kultur" die Rede. Das arabische Schriftgewand jedoch reichte von Spanien bis zum Pamir, von China bis nach Südostasien. Das bunte Spektrum muslimisch geprägter Zivilisationen wird bis heute oft verkannt.

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Wir haben Euch aus Mann und Frau geschaffen und zu Völkern und Stämmen gemacht, auf dass Ihr einander kennen möget!" (Koran Sure 49, Vers 13). Das steht für die ethnische, kulturelle und sprachliche Diversität der muslimischen Welt - diese Vielfalt wird bei uns aber bis heute oft übersehen.

In der frühen Islamischen Geschichte war Arabisch die Sprache der Gelehrsamkeit, vom 7. bis 9. Jahrhundert auch die Sprache der Politik und Administration. Mit dem Islam übernahmen oft Eroberte und Bekehrte das Arabische auf Kosten bis dahin üblicher Sprachen: Das frühe Syrische ist nur im christlichen Milieu erhalten geblieben; das Ägyptische hat nur in der Sprache koptischer Christen überlebt. Lokale Umgangssprachen konnten sich da und dort neben dem Arabischen bewahren.

Nach dem Tod des Propheten Muhammed (632) war die muslimische "Weltordnung" mit einem Problem konfrontiert: Dem Verhältnis des Arabischen zu anderen Sprachen des Kalifats -besonders nach der Eroberung des vierhundertjährigen Reiches Iran, das von Mesopotamien bis an den Oxus (Amu-Darja) gereicht hatte. Dessen Verwaltungssprache war Aramäisch gewesen, die Hof-und Adelssprache und die der zoroastrischen Priester war das prestigereiche "Mittelpersische". Sein Schriftsystem war kompliziert: Die Schrift war aramäisch; nur Endungen, Silben und Partikel wurden (Mittel-)Persisch geschrieben. All das wurde nichtsdestoweniger auf Persisch gelesen. In Mittelasien hingegen dominierte eine andere iranische Sprache, das Sogdische: Sie diente jahrhundertelang von Samarkand bis ins Innerste Chinas als "Lingua franca", als Handels-und Verkehrssprache entlang der Seidenstraße.

Faszination der arabischen Schrift

711 überquerten Muslime die Straße von Gibraltar, gleichzeitig wurde im Osten Samarkand in das Kalifat eingegliedert. Die einige Jahrhunderte währende Konversion dort lebender Menschen zum Islam setzte gleich nach der Eroberung ein. Schon im 8. Jahrhundert war die Standardisierung islamischer Lehren zwischen Spanien und dem Pamir in vollem Gange. Die importierte arabische Sprache reüssierte mit einer kulturgeschichtlichen Besonderheit - der Faszination, die von der arabischen Schrift ausging. Unsereins mag das arabische Schriftsystem nicht als eben einfach erscheinen: Handelt es sich doch um eine kursive, sehr schnell zu schreibende konsonantische Schrift. Den Iranern waren solche silbische Schriften vertraut. Schon früh sind jüdische Texte in Persisch in hebräischer Schrift belegt. Das arabisch geschriebene Neupersische griff erfolgreich um sich, löste in Zentralasien das Sogdische als Verkehrssprache ab und galt auch als Repräsentationssprache des lokalen iranischen Adels. Kein Problem hatten die Iraner mit der Adaption der Schrift: Persisch in arabischer Schrift galt ihnen als kulturtechnische Errungenschaft.

Vom 8. Jahrhundert an setzte sich das Persische als geeignet für islamische Lebenspraxis durch. Notwendige arabische Begriffe wurden in das persische Vokabular integriert. Die arabische Schrift signalisierte im islamischen Osten gegenüber allen anderen Sprachen die Dominanz des Islams. Alsbald gab es zwischen den beiden Sprachen eine klare "Arbeitsteilung": Theologie, Gelehrsamkeit, Verwaltung und Politik waren dem Arabischen vorbehalten; Kommunikation, Kommerz, Literatur, Unterhaltung und Poesie erfolgten östlich von Mesopotamien auf Persisch. In Zentralasien, unter den turksprachigen Stämmen, setzte islamische "Mission" ein. Die Sprache, in der viele Turkvölker Bekanntschaft mit dem Islam schlossen, war das Persische.

Im Hochmittelalter galt das Persische im islamischen Osten als zweite, dem Arabischen vielfach analoge, "typisch" islamische Kultursprache. Persische Lyrik galt als wichtiges Medium bei der Verbreitung islamischer Mystik. Bis zum 14. und 15. Jahrhundert besetzte das Persische weitere Domänen des Arabischen: Administration, Gelehrsamkeit und wichtigste Repräsentationssprache islamischer Zivilisation, die vom Kaukasus bis in den Subkontinent und ins Innerste Asiens selbst von Nicht-Muslimen akzeptiert wurde. Schließlich entstanden weitere "islamische" Kultursprachen in Anlehnung an das Verhältnis zwischen Persisch und Arabisch -so diente das Persische als Modell für die Schaffung der türkischen Literatur- und Kultursprache der Osmanen.

Verstreute muslimische Mileus

Andere regionale Umgangssprachen etablierten sich später in gleicher Funktion: In Andalusien trat das "Aljamiado", das mit arabischen Zeichen geschriebene Idiom iberischer Muslime, neben das Arabische ("aljamiado" stammt von Arabisch: al-'adjamî, einer spöttischen arabischen Benennung des Neupersischen). Es verschwand nach der "Reconquista", der christlichen Rückeroberung der iberischen Halbinsel. Vergleichbar war im Osmanischen Reich das in arabischer Schrift geschriebene Bosnische.

Seit dem späten Mittelalter wurden Paschtu, Kurdisch oder Belutschisch und einige Turksprachen Eurasiens arabisch verschriftlicht. In Indien gilt das für Vorläufer des heutigen Urdu, in Südostasien für das noch bis im letzten Jahrhundert in arabischen Lettern geschriebene Malaiische. In Ostafrika entstand als muslimisch geprägte Verkehrssprache das Kisuaheli, ebenfalls in arabischer Schrift. Heute wird der Begriff "aljamiado" generell auf diese (einst) arabisch-schriftlichen Sprachen angewendet, die außerhalb muslimischer Milieus anders verschriftet waren. Die Linguisten kennen ein albanisches, ein griechisches, ja sogar ein weißrussisches Aljamiado. Für die "Kapmalaien" in Südafrika (in der Kolonialzeit umgesiedelte Muslime aus Malaysia und Indonesien) sind Aljamiado-Texte belegt, in denen Afrikaans in arabische Grafik umgesetzt worden ist. Gleichfalls unter den Begriff "Aljamiado" fallen Versuche chinesischer Muslime, der "Huei", Chinesisch auf Arabisch zu schreiben.

In Indien wurde 1834 das Englische als dominante Sprache festgelegt. Dadurch wurde das Persische aus Indien verdrängt, und Urdu (Hindustani) wurde zur Kultursprache der Muslime im Subkontinent. Im 19. Jahrhundert ersetzte in Zentralasien das Russische das Persische; danach stiegen dort weitere turksprachige Umgangsidiome auf Kosten des Persischen auf. Durch koloniale Einwirkung hat das Persische seine Funktion als "islamische" Markierungssprache vom Kaukasus über den Tienschan und bis in den Subkontinent im 19. Jahrhundert zugunsten meist türkischer arabischschriftlicher Sprachen verloren. Aus diesen gingen im 20. Jahrhundert sowjetische Standardsprachen hervor. Persisch gibt es als Nationalsprache heute nur im Iran, in Tadschikistan und Afghanistan unter den Namen Farsi, Tadschiki und Dari.

Einfluss der Kolonialherrschaft

Westliche Kolonialherrschaft hat in den islamischen Zivilisationen auf sprachlichem Gebiet Spuren hinterlassen, die sich auch auf den Alphabetswechsel auswirkten. In der Türkischen Republik wurde die arabische Grafik für das Türkische zugunsten der Lateinschrift abgeschafft. Ähnliches wurde in der Sowjetunion den arabisch-schriftlichen Turksprachen und dem Persischen (Tadschikisch) auferlegt: Die Standardisierung dieser Nationalsprachen erfolgte erst lateinschriftlich; um 1940 wurden sie auf kyrillische Schrift umgestellt. Aserbaidschanisch, Turkmenisch und Usbekisch adaptierten nach 1990 wieder Lateinschrift. Auch die heute noch in Kasachstan lebenden chinesischen Huei, die dort "Dunganen" genannt werden, mussten ihr arabisch geschriebenes Chinesisch ins Kyrillische übertragen.

Die Aljamiado-Sprachen haben im 19. Jahrhundert ihr arabisches Schriftgewand zugunsten der Lateinschrift abgelegt. Mehr als die Hälfte aller Muslime weltweit verwenden keine arabische Schrift mehr, obwohl dieser so lange ein quasi-sakraler Charakter zugeschrieben worden war. Ein einst wichtiges Symbol ist verloren gegangen. Erst in der heutigen Türkei regen sich zum ersten Mal wieder - unter kuriosen Bedingungen - offizielle Bemühungen um seine Wiedereinführung.

Der Autor ist Islamwissenschaftler und Präsident der Österreichischen Orient- Gesellschaft. Er leitete das Institut für Iranistik der Öst. Akad. der Wissenschaften.

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