6573640-1950_32_09.jpg
Digital In Arbeit

Die neuen Staatssprachen Indiens und Pakistans

Werbung
Werbung
Werbung

Für jeden, der mit dem Sprachenbabel der vorderindischen Halbinsel einigermaßen vertraut ist, mußte es von vornherein klar sein, daß das Problem einer einheitlichen Staatssprache zu den brennendsten und schwierigsten Fragen für die beiden neuen Staatsgebilde Indiens — für Pakistan und vor allem für die indische Union — werden mußte. Die alte arische Sprache, die mit den einwandernden Indogermanen vor mehr als drei Jahrtausenden ins Land gedrungen war und deren klassische, vielfach künstlich überformte Bildung den berühmten Namen Sanskrit trägt, hat sich heute in über zweihundert kleinere Stammessprachen (und mehr als ein Dutzend größere Landessprachen) verzweigt; und diesen vielen verwandten, aber doch vielfach einander unverständlichen arischen Sprachen steht etwa in einem Viertel des Landes die völlig unverwandte Gruppe der Dravidasprachen und weiterer alter Restidiome gegenüber, die mit den arischen Mundarten höchstens die (meist stark veränderte) Schrift und eine Reihe von Sanskritlehnwörtem gemein haben. Zu alldem gesellt sich noch die Tatsache, daß zur Zeit der islamischen Eroberung ein arabisiertes Persisch die Hofsprache gewesen war und manche Spuren hinterlassen hatte; und zuletzt der kuriose Fakt, daß es zur Einigung Indiens und damit zur Lockerung der englischen Herrschaft einer allen führenden Kreisen verständlichen Sprache bedurft hatte: des — Englischen. So waren die Debatten des Parlaments, das aus diesem Gewirr — vielen nationalen, religiösen, partikularistischen Gegenbestrebungen zum Trotz — eine einheitliche Staatssprache zu erwählen hatte, von seltener Bitterkeit und Leidenschaft. Und so muß es unbedingt als Fortschritt gelten, wenn schließlich die Aufstellung zweier Nationalsprachen gelang, mag sich auch der wohlwollend fernstehende, von nationalen und religiösen Impulsen ungeleitete Europäer manches noch besser und praktischer gewünscht haben.

Pakistan hat Urdu, eine auf der nordindischen arischen Sprache Hindi beruhende einstige Heeressprache der mohammedanischen Truppen (tatarisch urdu = Heerlager; aus demselben Wort stammt das über den Balkan zu uns gedrungene deutsche Horde), zur Landessprache erhoben; die mit persischen Wörtern und Redewendungen gesättigte Sprache wird in arabischen Lettern geschrieben werden. Dieser betontmohammedanischen Wahl mußte auf hinduistischer Seite eine betont national-traditionalistische Reaktion folgen; so wählte man hier Hindi, in einer dem niedrigen Volk schwer verständlichen Form, die alle persischen Wörter ausmerzte und durch — Sanskritwörter ersetzte („Hoch-Hindi“), geschrieben in dem von links nach rechts laufenden Devanagari - Alphabet, zur Nationalsprache. In verschiedenen Mundarten wird Hindi in fast einem Drittel der Indischen Union gesprochen, und die auf ihm erwachsene Umgangssprache H i n-dustani kann geradezu als „lingua franca“ des nordindischen Volkes gelten. Daneben soll freilich das Englische 15 Jahre weiter als Staatssprache gebraucht Hverden, und die Proteste mancher Universitäten lassen vermuten, daß es diesen Platz vielleicht noch länger behaupten wird.

Was wir bedauern, ist, daß man damit aus nationalen und religiösen Gründen haarscharf an einer praktischeren und wenigstens was die Völker der beiden indischen Staaten betrifft) mehr völkerversöhnenden Lösung vorbeigegangen; ist. Hätte Pakistan auf eine Ubermoham-medanisierung des Urdu und vor allem auf den Gebrauch der für diese Sprache ja gar nicht geschaffenen arabischen Schrift verzichtet, sondern die vom Englischen her bekannte Lateinschrift eingeführt, hätte andererseits Indien an Stelle eines sanskrithaft aufgeputzten Hindi die wirkliche Volkssprache, Hindustani, ebenfalls in lateinischen Lettern, erkoren: dann spräche und schriebe man in beiden Staaten schließlich fast dieselbe Sprache; und zugleich wäre durch die lateinische

Schrift ein müheloser Anschluß an die internationale Welt gegeben. Mögen nur die indischen Staatsmänner, Gelehrten und Wissenschaftler so klug und abgeklärt 6ein, das wunderbare Werkzeug zur internationalen Verständigung, welches sie in der weitverbreiteten Kenntnis der englischen Sprache besitzen, allen berechtigten Reaktionen zum Trotz nicht aufzugeben! Manches bliebe also Y\i wünschen übrig. Einstweilen aber wollen wir nur den bitter errungenen Erfolg schätzen und die weitere Entwicklung abwarten: sie wird für sprachenkundig wie soziologisch Interessierte gleichermaßen, spannend werden.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung