Dokumente der Verzweiflung

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Käthe Kollwitz, Druckgrafikerin des Elends und des Krieges.

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Käthe Kollwitz, Druckgrafikerin des Elends und des Krieges.

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Eine Begegnung mit druckgraphischen Hauptwerken von Käthe Kollwitz (1867 bis 1945), wie sie derzeit in einer kleinen Ausstellung des Berliner Käthe-Kollwitz-Museums in Tegernsee möglich ist, löst inmitten einer Welt von Wohlstand und Erholung, aber auch mit dem Wissen um sich wiederholendes Leid am Ende unseres Jahrhunderts Betroffenheit aus. "Bleiben meine Arbeiten so in ihrer Wirkung, ja, dann habe ich viel erreicht", bemerkt sie rückblickend.

Als Käthe Schmidt 1893 die Uraufführung von Gerhard Hauptmanns "Die Weber" an der "Freien Bühne" in Berlin miterlebt, ist sie wie elektrisiert vom sozialen Anliegen des Stückes. Es geht um die Wegrationalisierung von Arbeitsplätzen mit allen Konsequenzen. Angeregt zu ihrer ersten graphischen Folge, die sie aktionistisch "Weberaufstand" (1897/98) nennt, fokussiert die Künstlerin dramatische Notsituationen zu eindringlichen Bildaussagen. In "Not", "Tod" und "Beratung" sind die Verzweifelten, vom Tode Bedrohten und Konspirierenden im dämmrigen Interieur grell beleuchtet. Mit Äxten bewaffnete Männer, unter ihnen eine Frau mit Kind, ziehen vorüber ("Weberzug"), sammeln sich vor einem Parktor, Frauen bücken sich nach den Pflastersteinen, reichen sie weiter ("Sturm"). Am "Ende" kehren sie mit ihren Toten zurück in die Webstube, die ein Lichtstrahl durch das Fenster erhellt.

Im Vordergrund stehen Not, Elend und Unterdrückung, aber auch mutige Entschlossenheit bis hin zur Kampfbereitschaft. Es ist der Beginn einer lebenslangen Auseinandersetzung der Künstlerin mit ihrer Gegenwart, einer Zeit politischer und sozialer Umbrüche, bis hin zur Wirtschaftskrise und zwei Weltkriegen.

Geprägt durch ihr Elternhaus in Königsberg - ihr Vater, schon 1848 politisch aktiv, ist Prediger der freichristlichen Gemeinde - gilt ihr Interesse den Arbeitern und einfachen Leuten, zunächst jedoch unter vorwiegend ästhetischen Gesichtspunkten. Aber ihr Blick bleibt auf diese Menschen gerichtet, deren Nöten sie seit 1891 in der Kassenpraxis ihres Mannes Dr. Karl Kollwitz im Norden Berlins begegnet. Im Großstadtmilieu verfolgt sie die sozial-politischen Veränderungen, getragen von einer zutiefst humanen Einstellung, die in ihren Tagebuchaufzeichnungen, vor allem aber in ihrem zeichnerischen, graphischen und plastischen Îuvre zum Ausdruck kommt und in dem sie der Frau eine initiative, aber auch schützende Rolle zuweist.

Ekstatische Gebärde Mit dem "Weberaufstand", in dem sie von der Lithographie zur Radierung wechselt, gelingt ihr 1898 der Durchbruch. Die machtvolle Gestalt der "Schwarzen Anna" (inspiriert von Zimmermanns "Geschichte des Großen Bauernkrieges", 1844) wird Leitfigur ihrer zweiten Folge "Bauernkrieg" (1903-1908). Hoch aufgerichtet scheint die Frau mit ekstatischer Gebärde die Bauern anzufeuern, die keilförmig gegen die Blickrichtung des Betrachters dahinstürmen. Käthe Kollwitz bedient sich in den sieben, teils großformatigen Blättern aller technischen Raffinessen der Radierung, experimentiert mit durchgeriebenen Strukturen. Zahlreiche Vorstudien zeigen das Ringen um die Bildidee, kraftvolle, energische Kohle- und Federstriche lassen ihre geniale zeichnerische Begabung erkennen. Souverän setzt sie Helldunkelwerte, bildparallele Ebene und Diagonale ein, erreicht eine dramatische Verdichtung der Bildaussagen.

Käthe Kollwitz erforscht alle Aspekte des Todes, ein für sie selbstverständlicher Gegenpol zum Leben. Der Verlust ihres Sohnes Peter zu Beginn des Ersten Weltkrieges, den sie als Freiwilligen bestärkt hat, sowie der Tod ihres Enkels im Zweiten Weltkrieg, läßt sie jedoch am Sinn eines Opfertodes zweifeln. Einem Vermächtnis gleich beschwört sie in der ausdrucksstarken Holzschnittfolge "Krieg" (1921-1923) den Schutz des Lebens, mahnt mit den aus Stein gehauenen, trauernden Eltern auf dem Soldatenfriedhof in Flandern. Ihr Werk spiegelt jedoch auch die heiteren Aspekte des Lebens wie Mutterschaft, Kinder, Akte und die im Verborgenen entstandenen Liebesszenen.

Für die damalige Zeit außergewöhnliche Unterstützung erfährt sie als Künstlerin durch ihren Vater bzw. durch ihren Mann durch Studienmöglichkeiten zunächst in Berlin und München, 1904 trotz Familie in Paris, 1907 in der Villa Romana in Florenz. Seit 1919 Mitglied und Professorin der Preußischen Akademie der Künste, werden ihr seit 1933 Lehre und Ausstellungen untersagt. Ihre Selbstbildnisse spiegeln in allen Lebensstadien die kritische, aber auch selbstbewußt in sich ruhende Auseinandersetzung mit ihrer eigenen Person. "Kraft, das ist das Leben so fassen, wie es ist, und ungebrochen durch es - ohne Klagen und Weinen - mit Stärke seine Arbeit tun. Sich nicht verleugnen - seine Persönlichkeit, die man nun einmal ist, aber sie verwesentlichen." Ein persönliches Bekenntnis über ein machtvolles künstlerisches Werk hinaus.

Bis 31. Oktober.

Olaf Gulbransson-Museum Tegernsee. Dienstag bis Sonntag 14 bis 18 Uhr. Tel.: 0049 8022 3338 Käthe-Kollwitz-Museum Berlin, Fasanenstr. 2, Tel.: 0049 30 8825210 Käthe Kollwitz Museum Köln, Neumarkt 18-24, Tel.: 0049 221 2272363 Gedenkstätte Rüdenhof, Moritzburg b. Dresden, Tel.: 0049 35207 82818 Bis 3. Oktober "Käthe Kollwitz: Das Bild der Frau", Kunsthalle Bielefeld, Tel.: 0049 521 512479.

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