Einen Spaß will ich mir machen

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Das Wiener Kindertheater spielt Nestroys "Jux".

Seit 1996 erarbeitet Sylvia Rotter jährlich ein Theaterstück mit Kindern und Jugendlichen, wobei die Aufführung zwar den unbestreitbaren Höhepunkt darstellt, aber nur der sichtbare Teil eines ihr sehr viel wichtigeren, weil nachhaltigeren Prozesses ist. Gemeint ist die Inszenierungsarbeit als kreativer, sinnlicher, mitfühlender und vor allem auch gemeinsamer, kommunikativer Vorgang, bei dem die Kinder statt dem Gegeneinander ein Miteinander erlernen. In der Theaterarbeit können - so Rotter - den Kindern die Grundbedingungen demokratischen Verhaltens gezeigt werden.

Kinder spielen Weltliteratur

Bemerkenswert am 1994 gegründeten Wiener Kindertheater ist aber nicht nur die Tatsache, dass es ein professionell gemachtes Theater mit Kindern und Jugendlichen ist, auch die Auswahl der Stücke stellt eine Besonderheit dar. Statt aus dem reichen Fundus der Kinder-und Jugendliteratur bezieht das Wiener Kindertheater seine Vorlagen durchwegs aus der dramatischen Weltliteratur. Es gehe darum - wie Rotter erklärt - den Kindern einen kreativen Zugang zur Weltliteratur zu eröffnen, die Klassiker von ihrer vermeintlichen Patina zu befreien und ihre Aktualität hervorzukehren. Dabei würden die Texte nicht einfach vom Blatt gespielt, sondern von den Kindern sorgsam erarbeitet und ihrer eigenen Erlebniswelt und ihrem persönlichen Sprachgebrauch angepasst, wobei dem eigenen Sprachvermögen auch neue Dimensionen hinzugefügt würden.

Neben Shakespeare, Goldoni, Molière oder gar Botho Strauß sind es immer wieder Stücke von Johann Nestroy. In Kooperation mit dem Burgtheater fiel die Wahl heuer auf "Einen Jux will er sich machen". Von den nahezu achtzig Possen, die er verfasst hat, ist dieses Stück aus dem Jahr 1842 eines der besten. Vordergründig betrachtet handelt es von der folgenreichen Abenteuerlust des vom Kolonialwaren-Kommis zum vermeintlich glücklichen Associé aufgestiegenen Weinberl. Genauer besehen verbirgt sich hinter seinem "Jux" der individuelle Wunsch nach Ausbruch aus den Beschränkungen des kleinbürgerlichen Daseins, in einer durch und durch vom Kommerzdenken bestimmten Welt. Bewundernswert, wie die jungen DarstellerInnen (es sind nicht weniger als 26 an der Zahl!) Nestroys hintergründige Situationskomik und seinen gewiss nicht einfachen, mehrdeutigen Sprachwitz meistern.

Couplet gegen Ministerin

Die Spielfreude war fast mit Händen zu greifen. Es wäre ungerecht, Einzelne hervorzuheben. Die es sein mussten, waren streng oder egoistisch, einfältig oder lasterhaft, verliebt oder sentimental und allesamt waren sie anmutig und absolut bühnentauglich. In bester Nestroy'scher Manier wird die Vorlage durch zeitkritische Implikationen ergänzt. So bekommt die Unterrichtsministerin in einem der vorzüglich gemachten Couplets ihr Fett ab. Im Couplet "Von der verrückten Idee" heißt es - womit das Wiener Kindertheater durchaus auch seine eigene prekäre finanzielle Situation thematisiert: "Wir lassen uns alles gefallen ... Lehrerkürzung und auch Schnee mit drei e, Hauptsach es belastet kein Budget." Und wir pflichten begeistert bei und sagen mit Nestroys Melchior: "dumm aber classisch".

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