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Die Legende vom Wasserkopf Wien

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Im alten Österreich hat man die k. k. Reichshaupt- und Residenzstadt Wien nicht den Wasserkopf des Reiches genannt. Niemand dachte daran, diese Hauptstadt müsse sich „gesundschrumpfen“; ganz im Gegenteil. Wien entwickelte sich kräftig und sollte zur 4-Millionen-Stadt ausgebaut werden. In dem 1918 auf ein Achtei der Fläche und Bevölkerung der ehemaligen Donaumonarchie zusammengeschrumpften neuen Kleinstaat Österreich war Wien durch den Verlust eines großen Hinterlandes am schwersten getroffen. Die westlichen und südlichen Bundesländer, die gleichfalls schwer amputiert wurden, gewannen langsam an Bedeutung, die Bedeutung der Hauptstadt schien dahinzuschwinden. An der Spitze des engbrüstigen und langgestreckten Staatskörpers des Rumpfstaates Österreich schien Wien der Wasserkopf zu sein. Und diesen wenig schmeichelhaften Namen bekam die Bundeshauptstadt nicht mehr weg.

Wie groß ist nun dieser Wasserkopf im Vergleich zum Kleinstaat Österreich? Man wird auf Grund größenmäßiger Vergleiche mit anderen Ländern und ihrer Hauptstadt sagen können, er ist nicht größer als der der Hauptstadt Dänemarks oder Griechenlands oder Japans oder Ungarns oder Großbritanniens. In Wien leben 24 Prozent der Einwohner unseres Landes; in Kopenhagen 28; in Athen 22; in Tokio 21; in Budapest 21; in London 19 und ebensoviel in Paris. Aber kein Einwohner der Länder der letztgenannten Städte wird auf den Gedanken kommen, seine Hauptstadt als den Wasserkopf des Landes zu bezeichnen. Das war und ist eine österreichische Spezialität.

Der Wasserkopf soll schrumpfen

Wenn vom Zentralismus in Österreich die Rede ist, dann erspart man sich hierzulande den Gebrauch dieses viersilbigen Fremdwortes und spricht lieber einsilbig von Wien. Die Landeshauptleute, die ihren Ärger mit der Bundesregierung und den Zentralstellen haben, gebrauchen fast ausnahmslos die Kurzformel von „denen in Wien“. Und in der Zeit zwischen den Kriegen wurde mehrmals in debt Bundesländern der Plan erörtert, ob es nicht gut und richtig wäre, einmal nach Wien zu ziehen, um dort Ordnung zu machen. Der „Marsch auf Wien“, in geistigem und materiellem Sinn gedacht, war das Attribut manches „starken Mannes“, der außerhalb Wiens zu Hause gewesen ist.

Anfangs der sechziger Jahre entschlossen sich die Landeshauptleute zu einer anderen Ordnung der Dinge: Man wollte nicht nach Wien,

um dort Ordnung zu machen, sondert! man entschloß sich, Kompetenzen und finanzielle Mittel, die dem Bund und seiner Verwaltung zustanden, hintnach zu verlangen und auf die Bundesländer aufzuteilen. Der Titel zur Erhebung dieses Anspruches lautete: In den letzten Jahrzehnten hätte in Wien eine geradezu unerträgliche Akkumulierung stattgefunden, und dies zum Nachteil der Bundesländer. Wollen wir einmal diese politische Theorie historisch und »licht ideologisch analysieren.

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