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Prager Phantasien

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Gleich mit den ersten Sätzen seines Vortrages in der „österreichischen Gesellschaft für Literatur“ nahm der Professor, Ordinarius für Germanistik an der Prager Universität, seine Wiener Zuhörer für sich ein: Er hatte, aus der Emigration zurückgekehrt, in der Zeit des „Personenkults“ vier Jahre im Gefängnis zugebracht. Menschen, deren Dasein sozusagen auf der Grenze zwischen Leben und Tod verlief, sähen die Welt anders als die anderen. Das ließ aufhorchen. Was aber der Professor dann zur Erklärung der erstaunlichen Blüte deutscher Literatur in Prag um die Jahrhundertwende vorbrachte, enthüllte ein Blickfeld, das doch auffallend von ideologischen Scheuklappen eingeengt schien.

Seiner These nach mußte die Habsburgermonarchie zerfallen, da ihre zentrifugale Entwicklung genau entgegengesetzt zu der in den damaligen bürgerlichen Nationalstaaten vor sich ging. In Prag kamen noch die starken nationalen Gegensätze zwischen Tschechen und Deutschen hinzu, der katasteopb^teijiciiFumßffungsprozeß des dortigen Deutschtums sowie die Abwehrstellung des Prager Judentums inmitten eines militanten Antisemitismus. Der Übergang der Großbourgeoisie zum Imperalismus habe jene Voraussetzungen geschaffen, die künstlerisch auszudrücken die Prager Dichter als erste in der Welt befähigt gewesen seien. Das Schaffen der Rilke, Werfel, Kafka, Brod, Kisoh, Urzidil, Winder, Pick, Leppin u. a. sei daher als das bewußte Hochhalten des Humanismus inmitten der Umwertung der Werte zu verstehen. Nur auf diesem Hintergrund seien Leben und Werk der Prager Dichter zu deuten.

Nun gut, der Professor meinte am Ende bescheiden, es handle sich hier um die ersten Grundlagen zur Erforschung eines erstaunlichen Phänomens. Allerdings ist die Richtung der Forschung, die einstmals unter Otokar Fischer ein überragendes Niveau hatte, damit schon gewiesen. Rilke, Kafka und die anderen in marxistischer Sicht — man kann auf die weiteren Ergebnisse aus Prag

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