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Versuch über Hitler

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Wenige Tage vor Ostern tauchte in den Schaufenstern der Buchhandlungen ein neuer Titel auf, dem innerhalb von Jahresfrist zwei weitere folgen und sich zu einer Trilogie ergänzen sollen. Eine Romantrilogie über Hitler und sein zwölfjähriges Reich! Ein Vorhaben, das gewiß des Interesses sicher sein kann. Doppelten Interesses, wenn niemand anderer als Bruno Brehm als Verfasser zeichnet. Dreifachen Interesses, wenn der über die Grenzen der Steiermark hinaus bekannte, wohlrenommierte katholische Verlag Styria dieses Vorhaben in sein Verlagsprogramm aufgenommen hat.

Mit einer Trilogie wurde Bruno Brehm vor drei Jahrzehnten bekannt. Der Rezensent bekennt an dieser Stelle offen, daß er, gleich vielen seiner Altersgenossen, als junger Gymnasiast mit glühenden Wangen „Apis und Este“ gelesen hat und nicht ruhte, bevor, mit den ersten selbstverdienten Schillingen bezahlt, auch „Das war das Ende“ und „Weder Kaiser noch König“ in seinen damals noch sehr aufnahmefähigen Bücherschrank gewandert waren. Mehr noch: das Hohelied, das Bruno Brehm dem sterbenden alten Reich sang, half mit, in einem jungen Menschen die Liebe zu dem klein gewordenen Vaterland als Träger einer großen Tradition zu stärken. Um so mehr mußte es ihn und viele enttäuschen, Bruno Brehm in dem heraufziehenden stürmischen Jahrzehnt als Mensch und Schriftsteller Wege gehen zu sehen, die — wie immer man sie auch erklären mag — nicht jene Österreichs waren. Als Brehm nach 1945 mit einzelnen Büchern „wiederkam“, trugen dieselben deutliche Zeichen der Bitterkeit, ja der Ressentiments des Autors, der persönliches Ungemach nach 1945 nur schwer verwinden konnte. Eine gewisse „Trotzhaltung“ kam hinzu. Sie brachte Bruno Brehm immer wieder in ungute politische Gesellschaft, von der nur als Beispiel die „Nation Europa“ — das Leibblatt der SS-Europäer — genannt werden soll.

Nun hat sich Bruno Brehm an ein großes Vorhaben gewagt. Die Annahme liegt nahe, daß der nahe der Schwelle des 70. Lebensjahres stehende Autor ein Gegenstück zu jener Trilogie schaffen will, mit der er seinerzeit als Schriftsteller zu Namen kam. Nach dem .Untergang des, alten Reiches der Aufgang und totale Zusammenbruch des Zwölfjährigen Reiches. Ist Bruno Brehm der fichtige Mann für ein Solches Werk? Wir möchten diese Frage nicht von vornherein verneinen. Gehörte Bruno Brehm doch ohne Zweifel nie zu den „völkischen“ Wotansuchern. Auch der Bismarck- und Preußenverehrung der „Alldeutschen“ stand er fremd gegenüber. Vielmehr war er zu dem Kreis jener „Nationalbetonten“ zu zählen, die sich im „Zwölfjährigen Reich“ des Trommlers Adolf Hitler, die Aufnahme der Mission des alten Kaiserstaates in neuer Form erwarteten. Dieser „Traum vom Reich“ war kurz. Das Erwachen bitter. Aber gerade deshalb könnte vielleicht ein durch Alter und Erfahrung gereifter Mann, dessen Wort gerade in jene Schichten zu dringen vermag, die gegen andere Stimmen aus Voreingenommenheit sich sperren, die große „Ent-Täuschung“ durchführen.

Wird Bruno Brehm diese echte Aufgabe erkennen? Wird er sie sich ohne Mentalreservation und Hintergedanken zu eigen machen? In der Antwort auf beide Fragen liegt das wahrscheinlich endgültige Urteil über einen österreichischen Schriftsteller. In ihr liegt in gleicher Weise eine Stellungnahme zu dem „Experiment Bruno Brehm“ des Verlags Styria.

Um es gleich zu sagen: man muß mit dieser Antwort auch nach der Lektüre des vorliegenden ersten Bandes der geplanten Trilogie noch zuwarten.

Am bemerkenswertesten an dem vorliegenden Buch, das mit der Landsberger Haft Hitlers nach dem mißglückten Novemberputsch 1923 in München schließt, erscheint uns die umfangreiche Einführung. In ihr werden gleichsam im Momentaufnahmeverfahren Männer und Gruppen vorgestellt, die letzten Endes den Boden für die Saat Hitlers gelockert haben. Dies scheint uns gerade für die Gegenwart wertvoll. Es geht nicht an — wie dies heute allzugern praktiziert wird —, allein den Sündenbock Hitler blutbesprengt in die Wüste der allgemeinen Verdammung zu schicken und frischfröhlich (wenig fromm), aber dafür sehr frei alles zu „restaurieren“, was zu Hitler hinführte, hinführen mußte. Was in, mit und durch Hitler aufstieg, hatte lange Wurzeln — und einen breiten (dank dem Opportunismus vieler Zeitgenossen), auch die Gegenwart noch belastenden Schatten ... Auf der anderen Seite läuft diese Art der Darstellung des Phänomens Hitler natürlich Gefahr, dessen Person zu verharmlosen und nicht des lauernden Dämons gewahr zu werden. Wie schwierig es in unserer Zeit ist, Hitler als Romanfigur einzuführen, ohne einen Popanz darzustellen oder die ersten Steine zu einer Hitler-Legende herbeizutragen, wird bald deutlich. Man spürt es, daß auch der Autor um diese Schwierigkeit wußte. IMe Kapitel, in denen Hitler auftritt, spricht oder agitiert, sind die blutleersten. Hier raschelt oft unverkennbar das Papier. Es ist wie beim Film: der Auftritt eines Hitler-Darstellers wirkte bisher stets peinlich. Gute Regisseure begnügen sich deshalb, etwa durch seinen Schatten, seine Stimme oder ein anderes Hilfsmittel, die Präsenz des „Führers“ anzudeuten. Hätte der Autor nicht besser getan, sich ähnlicher Techniken des „indirekten Auftrittes“ zu bedienen? Ansonsten hält es Brehm in seiner Darstellung wie bei seinen letzten Büchern: eine Auflösung der Handlung in Einzelkapitel wird durchgeführt. Einschlägige Literatur wurde vorher gewissenhaft herangezogen. (Ein Irrtum: die Aufhellung der Abstammung Hitlers, Hied-ler-Schicklgruber, erfolgte nicht 1923, sondern erst zehn Jahre später. Vgl. Hans Habe: „Ich stelle mich“, S. 218 ff.) Auf den heißen Atem des historischen Erzählers — er durchströmte seinerzeit vor allem „Apis und Este“ — warten wir vergeblich.

Das Werk ist begonnen, die Aufgabe ist gestellt: schon im 2. Band, der im Herbst erscheinen soll, wird das Problem Hitler und Österreich zur Sprache kommen müssen.

Wird Brehm die Gelegenheit zu einem freimütigen Bekenntnis nützen? Es würde uns freuen. Nicht der Irrtum ist eine Schande. Nur das Beharren in alten Fehlhaltungen. Gerade darum geht es. Bei Bruno Brehm. Und nicht nur bei Bruno Brehm.

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