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Ein „Kleiner Brehm“?

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Es gibt Namen und Werke, die in der Vorstellung der sogenannten Gebildeten und noch mehr in der jener „breiten Massen“, die von der Wissenschaft mehr angeleckt als artgelockt werden, eine Disziplin alleingültig und alleinerinnerlich vertreten. Für die Tierkunde ist es im deutschen Sprachbereich der „Brejpn“, ein für seine Zeit erstaunliches und überhaupt ein grandioses Vollbringen, das den Namen seines Verfassers unsterblich und sprichwörtlich gemacht hat. In sechs Bänden wurden da künstlerisches, dichterisches Empfinden bezeigende Schilderungen der gesamten Fauna zusammengefügt, die, den Ton aufs Biologische legend, wirklich ein „Tierleben“ darboten. Das monumentale Werk ist wiederholt aufgelegt und, neu bearbeitet, auf den jeweiligen Stand der Forschung gebracht worden, zuletzt in vierter Auflage von 13 Bänden, 1911 bis 1918, und in einer achtbändigen Jubiläumsausgabe, 1928, endlich 1952 in einer gekürzten Volksausgabe. Es war und bleibt ein Hausbuch, das in jeder gutbürgerlichen Familie gekauft und sogar gelesen wurde. Die heute altvaterisch anmutende schlichte Form der Darstellung war nicht ohne Einfluß auf den Stil zweier Generationen. Sätze, wie der vom Eichhorn, das sich mühsam seine Nahrung sucht, wurden „geflügelte Worte“. In Frankreich hatte Buffon, Brehms Vorläufer im 18. Jahrhundert, ähnliche Popularität erlangt. Wie es aber so geht, hielt die Achtung vor der Sprachform eines an sich notwendigerweise veralternden Werks länger an als bei den Deutschen. In den Neubearbeitungen des „Brehm“ kümmerte man sich mehr um den Inhalt als um die Form, die ja, wie der vorgenannte Buffon sagte, „de l'homme meme“, höchstpersönlich, un-nachahmbär, ist. Statt den Ur-Brehm als literarische Schöpfung unverändert fortleben zu lassen, veränderte ihn die wiederholte „Erneuerung“ immer mehr. Das geschah, weil der Name eine gute Marke von buchhändlerischer Anziehungskraft war.

Der Band, den ein in Brasilien wirkender deutscher Zoologe eben veröffentlicht, gebärdet sich nicht als eine „Volksausgabe“ des bis zur Unkenntlichkeit entstellten Originals, sondern er will, bescheiden, „nach Brehm“ geschrieben und, stolz, ein „vollkommen neuer Text“ sein. Damit ist Wesentliches klargestellt. Das Buch erfüllt seinen Zweck, in verhältnismäßig knapper Ubersicht ein Gesamtbild der Tierwelt zu liefern. Seine besonderen Vorzüge sind: die hervorragende Bebilderung durch Photographien, die der unvergleichliche Bernhard Grzimek, Direktor des Tiergartens in Frankfurt am Main, und dessen zu früh dem Forschereifer zum Opfer gefallener Sohn Michael aufgenommen haben; gute Zeichnungen nach dem großen Brehmschen Werk und ein ausgezeichnetes äußeres Kleid (Einband, Druck, Papier); vortreffliche Vertrautheit des Autors mit den Ergebnissen der neuesten Forschung; ein in die Tierkunde musterhaft einführendes allgemeines Kapitel; gewissenhafte, kritische Darstellung der Stämme, Zweige, Kreise, Klassen, Ordnungen, Familien, Gattungen, Arten. Von den mehrmals eine Million uns bekannten Arten, davon allein 600.000 der Insekten, werden etwa 2500 behandelt. Selbstverständlich können wir uns nicht auf Einzelkritik einlassen Nur als Beispiel sei erwähnt, daß die Einteilung der Säugetiere nicht völlig im Einklang mit der heute international am meisten beliebten von G. G. Simpson stehr. Barth unterscheidet zwar auch 18 Ordnungen dieser Klasse, zählt jedoch die

Riesengleitflieger zu den Insektenfressern, beharrt gegenüber Simpson, der Affen und Halbaffen als Primaten zusammenfaßt, bei der traditionellen Sonderung beider in zwei Ordnungen. Er vereint Ein-fachzähner und Doppelzähner, gleichfalls wie früher, zur Ordnung der Nagetiere, während Simpson Hasentiere als eigene Ordnung nennt; er betrachtet die Robben, die der angelsächsische Gelehrte den Fleischfressern beizählt — „Wasserraubtiere“ —, als gesonderte Ordnung. Auch in der Nomenklatur beschreitet Barth oft andere Wege als viele heutige Zoologen.

So sehr es zu begrüßen ist, daß Barth Legenden im Bogen ausweicht, fast unausrottbaren abergläubischen oder auch nur ungeprüft von Generation zu Generation sich fortpflanzenden Anekdoten den Garaus machend, es drehe sich um die Fruchtbarkeit der Tarantel oder um die angebliche Abstraktionsfähigkeit hochentwickelter Tiere, um die Weisheit des Elefanten oder um die Gefährlichkeit und Tücke des Gorilla — so sehr ist es zu bedauern, daß er einige ungewöhnlich interessante tierpsychologische Probleme nicht streift, die in der jüngsten Zeit die Aufmerksamkeit auch der Nichtzünftigen geweckt haben, so zum Beispiel das der Bienensprache oder die Pickordnung der Hühner, das Zeremoniell der Pinguine.

Zuletzt noch dies: War der ursprüngliche „Brehm“ ein Wortkunstwerk von Rang, so läßt sich das von Barths Nachnichtdichtung kaum behaupten. Der Stil ist mitunter von entwaffnender Ungeschicklichkeit.

Proben: „Wo sich Urwälder finden, zeigen sich diese flinken, gewandten und eleganten Baumtiere (nämlich die Meerkatzen), Kletterer und Springer, die man vielleicht als die schönsten aller Affen erklären darf, da sie eine wohlausgewogene Körpergestalt und ein eigenes Schönheitsideal besitzen, das keinem Zerrbild des Menschen irgendwie nahekommt.“ Wie wohl der ästhetische Kanon der Meerkatzen beschaffen sein mag, dessen Besitz, im Verein mit einer; wohlausgewogenen Körpergestalt, sie zu möglichen Siegern in einer äffischen Schönheitskonkurrenz stempelt? Daß ebendieses Schönheitsideal keinem Zerrbild des Menschen, also — siehe Nietzsche — keinem Affen nahekommt, bewiese geringes äffisches Rasseempfinden ebendieser Meerkatzen, die in Frankreich, macaque geheißen, nicht gerade als Schönheitsideal gelten. Ziert die Meerkatzen leibliche Wohlgestalt, so den Husarenaffen tadelloses gesellschaftliches Auftreten. Barth rühmt von ihnen, daß sie sich „auch in baumlosem Gelände vortrefflich zu benehmen wissen“. Wie denn auch nicht? Husaren äffen, also Kavallerie! Endlich: „Men-schenhim und Menschenaffenhirn laufen in zwei scharf getrennten Entwicklungsrichtungen.“ Welch kühnes Bild, welch erregendes Rennen! Bei all dem liest sich das Buch ganz angenehm, und jene „breiten Kreise“, für die es bestimmt ist, werden daran viel Vergnügen haben, den belehrenden Nutzen nicht eingerechnet. Wir wünschen ihnen viel Vergnügen und dem Band viel Erfolg. Umv'.-Prof. Dr. Otto Forst de Battaglia

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