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Sentiment und Ressentiment

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Am Rande des Abgrunds. Von Bruno Brehm. Leopold-Stocker-Verlag, 650 Selten.

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Am Rande des Abgrunds. Von Bruno Brehm. Leopold-Stocker-Verlag, 650 Selten.

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E pluribus unum: diesen Wahlspruch einer Weltmacht scheint Bruno Brehm zur Devise vieler literarischer Arbeiten gemacht zu haben. Aus vielen mach' eines, aus der Lektüre vieler Werke — der aufmerksame Leser ist imstande, nach jedem Kapitel anzugeben, woher der Rohstoff kam — entstand auch diese Sammlung politischer Reportagen aus der jüngsten Vergangenheit. Ein großer Bogen düsterer Bilder, entnommen der Zeit „von Lenin bis Truman“. „Wie eine Welt, die nur von blindem Willen zur Macht gelenkt wird, an den Rand des Abgrundes treibt, soll dieses Buch zeigen.“ So sagt sein Verfasser und ist bestrebt, Verstöße gegen Recht und Menschlichkeit — begangen von den verschiedensten politischen Systemen — niedriger zu hängen. Die Untaten jenes Regimes, dem Brehm seine Sympathien schenkte, werden nicht verschwiegen oder beschönigt, allein die Absicht ist deutlich, auch die andere Seite nicht zu kurz kommen zu lassen. Und dies geschieht mit bedeutend mehr Ambition. Hier aber gehören Warnungstafeln gesetzt. Denn allzu gerne hören manche, die glauben, daß die Schuld von gestern durch die Schuld von heute getilgt wird, die Botschaft: „Wir Wilde sind doch bessere Menschen ...“

Viele Fragen bleiben deshalb offen, gar manches will an dieser: Buch, in dem ehrliche Erkenntnis und versuchtes Bekennen neben deutlich erkennbaren Ressentiments stehen, nicht gefallen. Die Identifizierung des Schicksals der Frontsoldaten von 1918 und auch 1945 mit dem Los der politischen Häftlinge von Glasenbach wäre hier zu nennen: „Als wir geschlagen aus dem ersten Krieg heimkehrten, wurden wir ... Dummköpfe genannt. Als man uns nach dem verlorenen zweiten Krieg hinter Stacheldraht trieb, hieß man uns Schurken und Verbrecher“ (S. 111). — Wenn Bruno Brehm aber nach 1945 schreibt: „Ich werde meinem Volk im Unglück nicht untreu sein, ich werde mich immer gerne zu ihm bekennen“ (S. 13), so steigen Zweifel auf, ob der Verfasser mit diesem Volk das österreichische meint. Bestärkt werden sie, wenn Brehm vom 11. März 1938 freimütig bekennt, „nun mußte ich nicht länger in dem kleinen Staat leben, dessen Vergangenheit groß, dessen Zukunft verhängt war“ (S. 206). Nicht hinweglesen kann man aber vor allem über jene mehr als zweifelhafte Begründung der Sympathien des Verfassers zu dem vergangenen Regime (S. 215), die einer brüsken Beleidigung aller Gegner des Nationalsozialismus in die Nähe rutscht.

Wenn man daher das vorliegende Buch in den Kasten stellt, wo an einem bevorzugten Platz Brehms großer Wurf, die „Trilogie“, zu finden ist, so tut man gut, für Abstand zu sorgen,

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