"Glauben Sie an Gott?"

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Gelungener Auftakt bei den Salzburger Festspielen: Andrea Breths Dostojewski-Adaptation.

Dostojewskis 1866 erschienener Roman ist einer der am meisten dramatisierten Romane der Weltliteratur, weil er fast ohne Schilderungen eines Erzählers auskommt und fast ganz aus Figurenrede, aus Dialogen und Monologen, besteht. Regisseurin Andrea Breth hat aus dem 800-Seiten-Roman eine eigene Bühnenfassung erarbeitet, wobei sie auf die 1994 erschienene Neuübersetzung von Swetlana Geier zurückgreift. Deren Verdienst war es, die Aufmerksamkeit weniger auf den Philosophen und Moralisten, als vielmehr auf den Literaten Dostojewski zu lenken. So versuchte sie nicht, wie frühere Übersetzungen es taten, Fragmentarisches auszuführen oder Dostojewskis manchmal unebene, harte Sprache zu glätten und zu heben.

Ein spannender Krimi

Der bis zu Geiers maßgebender Neuübersetzung unter dem etwas moralisierenden deutschen Titel "Schuld und Sühne" bekannte Roman gilt auch als eine der spannendsten Kriminalgeschichten der Weltliteratur. Kurz zusammengefasst handelt "Verbrechen und Strafe" davon, wie der ehemalige Student Raskolnikow einen Mord an einer aus seiner Sicht wert- und nutzlosen alten Pfandleiherin und durch einen unglücklichen Zufall auch an deren debiler, aber herzensguter Halbschwester begeht und die Tat in fiebrigen Delirien für sich zu rechtfertigen und vor den Bekannten, der Familie und der Polizei zu vertuschen versucht, bis schließlich sein Selbst von Zweifeln, Gewissenskonflikten und Ekel sich verflüchtigt, er die Tat gesteht und die Strafe der lebenslangen Lagerhaft in Sibirien auf sich nimmt.

Als der Vorhang der Bühne des Salzburger Landestheaters für die erste Schauspielpremiere der heurigen Festspiele aufging, war der Mord bereits geschehen. Der junge Jens Harzer als Raskolnikow stand schmächtig und mit hängenden Schultern auf der sich mit bemalten Prospekten nach hinten perspektivisch auf ein weiß schimmerndes Rechteck hin (eine Kinoleinwand?) verjüngenden, fast leeren, düsteren Bühne. In den Händen hielt er das Beil, die Mordwaffe, mit der er, einem Napoleon gleich, einen Riss in die Ordnung der Welt zu schlagen hoffte. Stattdessen hat er sich von der Gesellschaft abgetrennt, sein ganzes Leben und sein Seelenheil in Stücke zerhauen. Raskolnikow eben, was zu Deutsch soviel heißt wie der Gespaltene.

Im Hintergrund steht in weißem Unterhemdchen das Mädchen Sonja. Sie ist Prostituierte und doch die geborene Unschuld (Birte Schnöink), die Raskolnikow selbstlos ins Straflager nach Sibirien folgt und den selbstsüchtigen Kopfmenschen durch die Macht des Gefühls - vielleicht ist es Liebe - bezwingen und ins Leben zurückholen will. Naiv wirkt sie, als sie ein Liedchen vom "Seligsein auf dieser Welt" singt, während aus dem Off eine Männerstimme dröhnend die Frage stellt: "Glauben Sie an Gott?"

Wenn Raskolnikow mit dünner Stimme immer wieder beteuert "Ich glaube", dürfen wir das in der Deutung von Andrea Breth nicht wörtlich nehmen. Zweifel am aufrichtigen Glauben des zu lebenslangem Lager Verurteilten sind angebracht. Das hingehauchte Bekenntnis des in fötaler Körperhaltung am Boden liegenden Raskolnikow - so als gebäre die Qual seines Bewusstseins nur einen neuen Schmerzensmann - ist eher Resignation eines Ermüdeten denn Überzeugung eines Bekehrten. Bei Breth gibt es keine (religiöse) Erlösung, eher nur die Welt als Wille und Verstellung.

Subjektive Rückblende

Die Szene steht in Dostojewskis Roman am Ende, als Epilog, in Breths Bühnenfassung bildet sie eine Art Prolog. Mit diesem chronologischen Kunstgriff zwingt sie die Betrachter in die subjektive Perspektive Raskolnikows. Was sich in den folgenden mehr als vier Stunden auf der Bühne entfaltet, ist in Rückblende das albtraumhafte Delirium eines einsamen, liebesunfähigen, zu monströsen Ideen neigenden und nach Übertretung dürstenden Egomanen.

Vor allem im ersten der drei Teile gelingen Breth, unterstützt durch den kongenialen Bühnenbildner Erich Wonder, berückend verstörende Bilder von hoher theatraler Suggestivität. Filmische Schwarzblenden zerstückeln die Chronologie der Erzählung in ein gewaltiges Bild-Ton-Puzzle.

Wer den Roman nicht kennt, wird es schwer haben, die Beziehungsverhältnisse auf Anhieb zu verstehen. In Wonders von großen Rundhorizonten mit verwischten Schlachtgemälden eingefassten oder durch gebaute, kellerartige, mit lauter rätselhaftem Unrat verstellten Räumen, die keine Milieuschilderung im Sinn haben, sondern alleine der Künstlichkeit verpflichtet sind, entfaltet sich das surreale, manchmal bizarre Geschehen. Die bisweilen sehr kurzen, manchmal in Zeitlupe gespielten Szenen, symbolhaften Close-Ups oder auch die großen Tableaus sind zeichenhafte Fragmente aus der Leidensgeschichte des Mörders Raskolnikow in einer auswegslosen, sinn- und gottlosen Welt.

Viele Mord-Motive

Dostojewski hat seinem Helden eine Vielzahl von Motiven zum Mord in die Hand gegeben, die das Verbrechen nicht als eines aus Habgier erscheinen lassen. Da ist zum einen der Mord aus sittlicher Entrüstung über die Ungerechtigkeit einer frühkapitalistischen Weltordnung, da sind seine Mutter und seine Schwester, denen er nicht auf der Tasche liegen möchte, und da ist schließlich die wahnhafte Idee, das Experiment, das er an sich selbst vollzieht: die Selbstermächtigung zum Mord. Bei Breth ist Raskolnikow nicht Mörder aus Aufbegehren gegen die Ungerechtigkeit und Ausbeutung. Sie interessiert sich ganz für die geistige Dimension der Tat und die Welt, in der eine solche möglich ist: die rücksichtslose Autonomie in einer (scheinbar freien) Welt ohne Gott.

Der Mord ist hier die Folge einer gefühlsfernen instrumentellen Vernunft und einer abstrusen, kalten, faschistoiden Übermensch-Theorie, aus der sich das vermeidliche Recht zum Verbrechen ableiten lässt. Doch Raskolnikow hat keine Idee für ein Nachher, und so ist es bloß ein gewöhnliches Verbrechen, eine angemaßte Überschreitung eines sich selbst absolut setzenden Individuums.

Harzer spielt diesen Raskolnikow als grüblerischen, in sich versunkenen Rationalisten, schlaff, sanft, nicht im Wahn, nicht fiebrig, fast lapidar. Weder Swidrigajlow, der gemeine Frauenmörder, von Sven-Eric Bechtolf als geiler Dandy dargestellt, noch der luzide Ermittlungsrichter Porfirij von Udo Samel vermögen Raskolnikow die Folgen, die seine abstrusen Theorien für das gesellschaftliche Zusammenleben hätten, verständlich zu machen. Er ist bis zuletzt ein einsamer, für fremde Argumente und moralische Anfechtung unzugänglicher Gefühlsautist. In dieser Sichtweise liegt das Beunruhigende und Zeitgenössische von Breths Inszenierung: die Gefühlslosigkeit der Vernunft, die Apathie, seit es zwischen Himmel und Erde keine Verbindung mehr gibt, wir alle kennen sie.

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