Ich trinke, also bin ich

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Seidel- und krügelweise rinnen Millionen Liter Bier jährlich durch österreichische Kehlen. Daß es auch ein Getränk für Connaisseurs ist, weiß aber kaum jemand.

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Seidel- und krügelweise rinnen Millionen Liter Bier jährlich durch österreichische Kehlen. Daß es auch ein Getränk für Connaisseurs ist, weiß aber kaum jemand.

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Ein bißchen Bildung muß sein. Auch und gerade im Bierlokal. Noch dazu, wenn es sich mit dem Namen von John Harvard schmückt: "I think - therefore I am" sollte der descartes'sche Grundsatz des "Cogito ergo sum" wohl lauten; aber in John Harvard's Brewpub in Cambridge steht "I drink - therefore I am". Auch gut. Und der Braumeister hat sogar "I brew - therefore I am" auf sein T-Shirt geschrieben.

Bierbrauen und Biertrinken als Ausdruck des Lebensstils. Für viele Amerikaner ist das längst eine Selbstverständlichkeit geworden. Der Statistik ist das allerdings nicht zu entnehmen: Die führt 49,96 Millionen Hektoliter "Bud" an erster Stelle des Weltbiermarktes. Unter den zehn meistverkauften Bieren folgen mit 27,26 Millionen Hektoliter "Bud light", 19,10 Millionen "Miller Lite" und 17,55 Millionen noch drei weitere geschmacksarme amerikanische Biere. Aber im Bier steckt eben mehr als ein billiger Durstlöscher.

Gerade weil in den USA ein so einheitlich fader Biergeschmack etabliert wurde, hat sich eine Gegenkultur entwickelt. Zunächst haben nur ein paar eingefleischte Bierliebhaber ihr Bier in der eigenen Küche produziert, dann haben sie dieses Bier gemeinsam verkostet, schließlich an andere Bierfreunde verkauft: Aus solchen Hinterzimmer-Geschäften sind einige der heute angesehenen handwerklichen Brauereien Amerikas hervorgegangen.

Marken wie Samuel Adams, Redhook und Sierra Nevada werden heute mit demselben Respekt genannt wie die Marken des Marktführers Anheuser-Busch, der mit 113,4 Millionen Hektoliter etwa zwölfmal so viel Bier braut wie alle österreichischen Brauereien zusammen. Die kleinen Marken reichen auch in Summe nicht an die Menge des Biergiganten heran - aber jedes einzelne Bier ist wertvoller als die Biere der großen Konkurrenz: Die Konsumenten sind gerne bereit, das Doppelte und Dreifache für ein Bier aus einer Mikrobrauerei zu zahlen. Nach oben gibt es keine Grenzen: In Kalifornien und Oregon gibt es Brauereien, deren teuerste Biere mit 75 Dollar für eine 0,3-Liter-Flasche bezahlt werden. Ein stolzer Preis - für den man dann aber auch etwas ganz anderes bekommt als das allgegenwärtige Helle.

Nicht nur Wasser, Malz und Hopfen Denn Bier ist eben nicht nur Wasser, Malz und Hopfen. Abgesehen davon, daß die im Wasser gelösten Stoffe einen erheblichen Einfluß auf das fertige Bier haben: Es gibt helle und dunkle Malze, kaffeeige Röstmalze und süßliche Karamelmalze - und vermälzen läßt sich nicht nur Gerste, sondern auch Weizen und Roggen, Hirse und Dinkel. Außerdem kann man nicht nur die Malzqualitäten variieren, sondern natürlich auch die sogenannte "Schüttung", also die Menge Malz, die für einen Sud genommen wird. Davon hängt es ab, ob daraus ein Leichtbier oder ein Bock wird.

Oder der Hopfen: Der ist eben nicht nur der Allerwelts-Bitterstoff im Bier - neben der Bittere gibt es rund 300 andere Geruchs- und Geschmackskomponenten: Während eine Großbrauerei nur den Bitterwert des Bieres einstellt, leisten sich die amerikanischen Kleinbrauereien eine Auswahl von Hopfensorten, wie sie sonst nur auf Weingütern bei der Auswahl der richtigen Trauben üblich ist: Im Hopfen können ja Töne von Heu, von Grapefruit oder (was natürlich keiner will) Käserinde stecken.

Und auch die Hefe sagt dem neuen Biertrinker mehr als vielen Brauern: Während die Brauindustrie bloß zwei oder drei Hefestämme verwendet, wählen die amerikanischen Kleinbrauer unter mehreren Dutzend Stämmen aus, schließlich verdient jeder Bierstil eine etwas andere, sortentypische Vergärung. Inzwischen gibt es in den USA mehr Brauereien und mehr Biere als in Deutschland.

Das Ergebnis sind sehr individuelle Biere, oftmals stärker im Alkohol, jedenfalls aber stärker im Geschmack als das, was man allerorten als Durstlöscher angeboten bekommt. Biere, über die es auch zu diskutieren lohnt. "I drink - therefore I am": Das heißt auch, seine Bier-Philosophie mit anderen zu teilen.

Bei uns kann kaum jemand sagen, warum er dieses oder jenes Bier lieber als ein anderes trinkt - und meistens wird die Auswahl ganz einfach davon bestimmt, was es im jeweiligen Lokal gibt. Und wer in den Supermarkt geht, findet dort zwar ein Dutzend verschiedener Marken, aber letztlich handelt es sich doch im wesentlichen um Märzenbier.

Das muß natürlich nicht so sein. Und es ändert sich tatsächlich rasch: Vor zehn Jahren noch bestand die "Auswahl" in einem typischen österreichischen Lokal aus einem großen und einem kleinen Bier. Wer auch noch ein Weizenbier auf der Karte hatte, konnte sich durchaus schon als Bierspezialitätenlokal bezeichnen.

Eine Goldmedaille nach der anderen Inzwischen hat sich auch in Österreich herumgesprochen, daß es allein beim Weizenbier drei verschiedene Grundstile und jeweils eine Handvoll Variationen gibt - sogar die Unsitte, auf ein Weizenbierglas eine Zitronenscheibe zu stecken ist abgekommen (sie stammt aus der Zeit, als Weizenbier leicht sauer wurde und dieser Fehler mit Zitronensäure überdeckt werden mußte).

Inzwischen gibt es eine Brauerei, nämlich Stiegl in Salzburg, die mit ihrem "Weizengold" ein Bier aus 100 Prozent Weizenmalz anbietet. Das nahe Hofbräu Kaltenhausen räumt mit seinem dunklen Hefeweizen inzwischen eine Goldmedaille nach der anderen auf dem sehr wettbewerbsorientierten amerikanischen Biermarkt ab.

Im Wiener Siebensternbräu gibt es gelegentlich ein Fruchtweizen, dessen esteriger Geschmack durch die Zugabe von Orangen noch intensiver wird. Und weil obergäriges Bier nicht allein Weizenbier ist, haben mehrere Brauereien begonnen, Stout zu brauen: Ein mildes Milk-Stout vom Haydnbräu in Eisenstadt steht da einem sehr vollmundigen und ausgeprägt aromatischen Stout aus dem Schloßbräu in Dornbirn gegenüber.

Aber auch im untergärigen Bereich entdecken die Brauer, daß es etwas jenseits vom Märzen gibt: Angefangen hat der junge Christian Pöpperl in Weitra, der schon vor sechs Jahren mit einer Mischung aus vier verschiedenen Malzen experimentierte, um ein vollmundiges und doch hopfenbitteres Bier, das "Hadmar-Bräu" zu brauen. Inzwischen gibt es mehrere Versionen bernsteinfarbener Biere, die alle auf der Verwendung heller, dunkler und Karamelmalze basieren. Das "Millennium-Bier" aus der Zwettler Brauerei ist die neueste und bisher erfolgreichste Kreation dieser Art.

Um sich damit zu berauschen, dafür sind sie alle viel zu schade (und auch zu teuer) - aber es heißt ja schließlich "Ich trinke, also bin ich". Nicht: "Ich saufe, also bin ich."

Der Autor ist Redakteur der Wiener Tageszeitung "Der Standard" BUCHTIP Bier. Deutsche und europäische Brauereien. Von Conrad Seidl. Erschienen 1997 ISBN 3932131177. Ins Wirtshaus! Von Gästen, Wirten, Stammtischrunden. Von Andrea Dee & Conrad Seidl. 1997, ISBN 38000. Die Bücher können online erworben werden via: http://www.buchservice.at

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