Bier - © Foto: Pexels

Kochen mit Bier

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Ein Plädoyer für das Wiederentdecken alter Kochrezepte mit Bier.

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Ein Plädoyer für das Wiederentdecken alter Kochrezepte mit Bier.

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Zur weithin vergessenen Küche zählt die Bereitung verschiedener Speisen mit Bier. Bis in das 18. Jahrhundert hinein zählte die Biersuppe so sehr zu den kaum verzichtbaren Lebensmitteln, dass sich ein geradezu ideologischer Disput daran entzündete. Der neu aufgekommene Kaffee, als Morgengetränk, galt als Frühstücksgewohnheit der Dynamischen, der Aufsässigen, der Aufgeklärten, tendenziell der Republikanischen. Demgegenüber war die Biersuppe, die Kraftnahrung zu Beginn des Tages, als Speise des Althergebrachten, des Konservativen, der Unterstützung der anciens régimes, als morgendlicher Anfang der ruhigen Geister anerkannt.

Kaffee versus Bier

Wir wissen, wie der Konflikt ausgegangen ist: Der Kaffee erfreut sich allgemeiner Beliebtheit, die Biersuppe scheint weithin ausgestorben zu sein. Einen ungefähren Begriff der herkömmlichen Biersuppe gibt die "Altböhmische Kochkunst" Magdalena Dobromila Rettigovas von 1830, deren Rezept wie folgt lautet: "Laß 1 Liter Bier kochen, und während des Kochens schäume es einigemal ab; schlage in einen Topf 6 Eierdotter, gib dazu ein Stück frische Butter, einen Kochlöffel voll Mehl, 35 Gramm gestoßenen Zucker, ein bischen Muskatenblüte, etwas Lemonieschale, ein wenig Schmetten, rühre es wohl ab, salze es, gieße das kochende Bier daran, quirle es recht ab und laß es noch ein ganz wenig aufkochen, dann gieße die Suppe entweder über Semmelwürfel in die Suppenschüssel oder trage sie in Kaffeeschalen auf."

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Schon sättigender wirkt hier Frau Rettigovas Variante, die an eine Art Panadelsuppe auf Bierbasis gemahnt: "Schneide oder reibe Brod, gib es in einen Topf, dazu ein wenig Kümmel, ein bischen Salz, gieße Bier daran und laß es kochen, bis das Brod ganz zerkocht ist; hernach schlage in einen Topf einige ganze Eier, gib dazu 35 Gramm gestoßenen Zucker, 2 Deciliter guten entweder süßen oder saueren Schmetten, ein Stück Butter, rühre es wohl ab, gieße die kochende Suppe darüber, quirle es recht ab und laß sie noch ein bischen aufkochen, dann gieße sie in die Suppenschüssel und trage sie auf..." - eine plebejische Version zur Verwertung von Restbrot und nur noch "einigen ganzen Eiern"; Schmetten würden wir übrigens als Rahm oder Obers bezeichnen.

Bei Katharina Prato ("Süddeutsche Küche"), ungefähr eine Generation nach der Rettigova, ist diese Speise vollends abgeschlankt und dessertförmig geworden: "Man kocht 7 Deziliter leichtes Bier mit einigen Gewürznelken, einem Stück Zimt, Limonenschalen und ein wenig Zucker, läßt es eine Weile sieden und schäumt es dabei fleißig ab. Dann sprudelt man 2 Deziliter Obers mit 3 Dottern ab, gibt das siedende Bier dazu und sprudelt fort, bis die Suppe dick wird, worauf man sie sogleich anrichtet."

Seither ist die Biersuppe in den Kochbüchern rar geworden. Bei Eugenie Erlewein (1. Auflage 1952) sind noch zwei Varianten vorzufinden, deren eine als Weißbiersuppe firmiert. Diese entspräche weithin dem Pratorezept, mit etwas mehr Zucker und etwas weniger Rahm/Dotter, dafür handelt es sich um einen ganzen Liter Weißbier - und zur Bindung wird ein Teelöffel Stärkemehl hinzugefügt. Die Biersuppe hingegen, wiewohl sie jeweils 40 Gramm Mehl, Zucker und Butter vorsieht - und nur ein Eigelb auf einen Liter Bier - erinnert wiederum mehr an das vorgenannte Rezept der Frau Rettigova. Verlassen wir hiermit das geschmackvolle Feld der Biersuppen - auch wenn diese in historischer Hinsicht die größte Bedeutung erlangt hatten - und gehen wir zu den Hauptgängen über.

Böhmisches Bierfleisch

Ich selbst habe gelegentlich Böhmisches Bierfleisch gekocht, ein Schweinsragout mit Gewürzen (Kümmel, Knoblauch etc.) und einem Bieraufguß, der selbstredend mehrere Varianten, hell oder dunkel, ermöglicht. Naheliegend, dass auch hierzu Madame Rettigova einige grundlegende Rezepte abgibt - die dann auch keineswegs beim Schwein stehenbleiben.

"Schweinefleisch in Bier. Schneide ein junges Schweinefleisch auf Stücke, lege es in eine Kasserolle, salze es, streue ein bischen Kümmel darüber, gieße heißes Bier darauf und laß es wohl zugedeckt kochen, wenn es halb gekocht ist, so streue geriebenes Brot daran, damit es gehörig dicklich werde, und gib dazu einige Zehen mit Salz zerriebenen Knoblauch und kleingeschnittene Lemonieschale. Wenn das Fleisch weich und die Soß gehörig dick ist, so trage es auf - so kann man auch Bratwürste bereiten." Gleichermaßen wird bei ihr das Spanferkel mit Bier bereitet. Entscheidend ist hierbei, dass in die Pfanne, in welche das Fett des Ferkels hineintropfen soll, "etwas Bier" gegeben werden soll.

Auch diese Bereitungen sind heute seltener geworden, wobei eine bemerkenswerte Ausnahme erwähnt werden soll: In Alfons Schuhbecks "Neuem Bayrischen Kochbuch" finden wir eine "Spanferkelkeule in Grammelbiersoße", in der zunächst Bier auf jenes tiefe Blech des Backofens gegosssen wird, auf das das Fleisch gelegt worden ist. Zwiebel, Karotten, Sellerie und Knoblauch zerteilen und zur Keule geben. Weiters wird Bier und Brühe zum Nachgießen der verdampften Flüssigkeit verwendet; schließlich wird mittels des restlichen Biers nach Beendigung des Bratvorgangs losgekocht - in diese Soße werden abschließend noch die Grammeln untergemischt.

Bemerkenswert scheint es mir, dass Schuhbeck ausdrücklich kommentiert: "Dunkles Bier gibt beim Begießen der Schwarte Glanz und Würze. Aber nehmen Sie kein helles Pilsner Bier, sonst wird die Soße bitter." Nun schmeckt fraglos dunkles Bier anders als helles, und entsprechend unterschied-lich ist die Würzwirkung - warum allerdings eine bittere Soße grundsätzlich unangenehm schmecken soll, will mir nicht recht einleuchten.

Schwarzer Karpfen

Solche Differenzierungen macht die Rettigova nicht, vielmehr überträgt sie die Bierwürzung auch auf die Fischküche. Zwei ihrer drei Variationen des Schwarzen Karpfens beruhen auf Bier. Im ersteren Falle wird das mit Weinessig ausgespülte Blut zu einer Soße vermengt mit: Zeller, Zwiebeln, Petersiliewurzeln, gelben Rüben, Pfeffer, Neugewürz, Ingwer, Nelken, Knoblauch, Salz, Haselnüssen, Zitronenschale, Butter - und "so viel kaltes Bier als nöthig ist, damit es untertauche". Schließlich noch karamelisierter Zucker und geriebener Lebkuchen.

In der anderen Variante heißt es: "Gieße in einen Kessel 2 Liter Bier und 3 Liter Weinessig", woraufhin wieder die erwähnten Gemüse und Gewürze folgen, ergänzt durch Lorbeer, Thymian, Dörrzwetschken, Dörrweichseln und Brotrinde. Schließlich kocht die Rettigova auch Krebse in siedendem Bier mit Salz, Kümmel, Butter und Petersilie. Soviel zum Hauptgang, wobei mir unerprobte Varianten einfielen: Eine beim Braten mit Bier bestrichene Ente oder Gans kann ich mir gut vorstellen...

Beim Dessert kann ich mich kurz fassen. Zum einen gibt es, und dies bis heute, den Bierteig. Hier wird Mehl, Eigelb, Salz und ein wenig Öl mit Bier glatt verrührt und Schnee vorsichtig darunter gerührt. In einer Variante wird Hefe mitverwendet. Vor dem Ausbacken damit eingekleidet werden zum Beispiel Holunderblüten oder Zwetschken. Für "Welsh Rarebits" wird das Bier mit geriebenem Chestnut und Paprika vermischt, damit Käseteig bestrichen und ausgebacken. Und dann Katharina Pratos Bierkäse: Liptauer oder Brimsen mit der gleichen Menge Butter verrühren, dazu Senf, Kümmel, Paprika, Kapern, Schnittlauch, Zwiebel und Bier.

Bier essen: eine beinahe vergessene Küche, eine gastronomische Option.

Der Autor ist Hochschullehrer für Devianzforschung an der Gesamthochschule Kassel.

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